06.05.2011 Theodor Ickler „Wissenschaftliche Prosa“Zugleich gegen die Einseitigkeit der Neu-HumboldtianerBekanntlich vergibt die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung einen Preis für wissenschaftliche Prosa, der nach Sigmund Freud benannt ist. Freud selbst schrieb eine elegante und höchst verführerische literarisch-rhetorische Prosa. Mit den exakten Wissenschaften hat das kaum etwas zu tun.Die bisherigen Preisträger sind: 1964 Hugo Friedrich, Romanist 1965 Adolf Portmann, Zoologe 1966 Emil Staiger, Germanist 1967 Hannah Arendt, Philosophin 1968 Karl Barth, Theologe 1969 Bruno Snell, Altphilologe 1970 Werner Heisenberg, Physiker 1971 Werner Kraft, Literaturhistoriker 1972 Erik Wolf, Jurist 1973 Karl Rahner, Theologe 1974 Günter Busch, Kunsthistoriker 1975 Ernst Bloch, Philosoph 1976 Jürgen Habermas, Philosoph 1977 Harald Weinrich, Romanist 1978 Siegfried Melchinger, Theaterhistoriker 1979 Hans-Georg Gadamer, Philosoph 1980 Hans Blumenberg, Philosoph 1981 Kurt von Fritz, Altphilologe 1982 Arno Borst, Historiker 1983 Peter Graf Kielmansegg, Politologe 1984 Odo Marquard, Philosoph 1985 Hermann Heimpel, Historiker 1986 Hartmut von Hentig, Pädagoge 1987 Gerhard Ebeling, Theologe 1988 Carl Friedrich von Weizsäcker, Naturwissenschaftler 1989 Ralf Dahrendorf, Politikwissenschaftler 1990 Walther Killy, Literaturwissenschaftler 1991 Werner Hofmann, Kunsthistoriker 1992 Günther Anders, Philosoph 1993 Norbert Miller, Literaturwissenschaftler 1994 Peter Gülke, Musikwissenschaftler 1995 Gustav Seibt, Historiker 1996 Peter Wapnewski, Germanist 1997 Paul Parin, Ethnopsychoanalytiker 1998 Ilse Grubrich-Simitis, Psychoanalytikerin 1999 Reinhart Koselleck, Historiker 2000 Kurt Flasch, Philosoph 2001 Horst Bredekamp, Kunsthistoriker 2002 Klaus Heinrich, Philosoph 2003 Walter Burkert, Altphilologe 2004 Karl Schlögel, Historiker 2005 Peter Sloterdijk, Philosoph 2006 Johannes Fried, Historiker 2007 Josef H. Reichholf, Evolutionsbiologe 2008 Michael Hagner, Mediziner und Wissenschaftshistoriker 2009 Julia Voss, Kunsthistorikerin und Journalistin 2010 Luca Giuliani, Archäologe Die wenigen Naturwissenschaftler wurden für populäre und essayistische Arbeiten geehrt. Dies ist auch der Hintergrund für die These der Neu-Humboldtianer, in den einzelnen Muttersprachen seien "Ressourcen" spezifischer Erkenntnisse enthalten, die man nicht aufgeben dürfe. So ja auch Thielmann, der hier kürzlich erwähnt wurde. Die entscheidende Frage wäre aber doch wohl: Inwiefern behindert die Dominanz des Englischen als internationale Wissenschaftssprache den Fortschritt der Wissenschaften. Darüber läßt sich breit reden, wenn man die Naturwissenschaften ausklammert. Thielmann muß auf die Ablösung des Lateinischen durch das Italienische bei Galilei zurückgreifen. Angeblich war Latein derart eng mit der scholastischen Methode verknüpft, daß die Befreiung von letzterer auf lateinisch nicht gut möglich war. Ich will darauf nicht näher eingehen, sondern nur erwähnen, daß Latein universal genug war, um auch die modernen Ideen aufzunehmen (Newton usw. bis ins 19. Jahrhundert). Der Übergang zu den Volkssprachen hatte wohl andere Gründe. An den großen Forschungsinstituten heute wird nach Bedarf englisch gesprochen, gelesen und geschrieben, und keiner macht sich feinsinnige Gedanken über Erkenntnisressourcen und sprachgebundene Weltansichten, für die es einfach keine guten Argumente gibt. Was die Wissenschaften fördert oder behindert, sind eher gesellschaftliche und institutionelle Verhältnisse, unterschiedliche Diskussionskulturen, geistig-geistliche Bevormundung oder deren Fehlen usw., aber nicht die Sprachen.
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