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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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06.02.2007
 

Bevormundung
Der Staat weiß alles besser – im Dienste der Lobby

In Baden-Württemberg protestieren immer mehr Eltern gegen den Zwang zu Französisch als erster Schulfremdsprache im Grenzgebiet zu Frankreich. Ein Mitarbeiter des Deutsch-Französischen Instituts sagt dazu, manchmal müsse man die Menschen zu ihrem Glück zwingen.
Die Eltern sehen aber nicht ein, warum die Beschäftigungsmöglichkeiten ihrer Kinder auf den engen Bereich des deutsch-französischen Grenzgebietes beschränkt sein sollen. Das widerspricht in der Tat der Globalisierung und verstößt gegen die Mitspracherechte der Eltern. Das Projekt „Nachbarschaftssprachen“ erweist sich, wie vorausgesagt, als Bevormundung.

Vor einiger Zeit hatte ich kommentiert:

Neues vom deutschen Wesen

„Zur Erhaltung der europäischen Sprachenvielfalt wie mittelbar zum Verständnis der eigenen Sprache trägt auch der Fremdsprachenunterricht bei. Dieser soll in der Grundschule einsetzen. Ziel ist die mündliche und schriftliche Handlungsfähigkeit möglichst vieler Deutscher in zwei europäischen Fremdsprachen sowie Lesekompetenz und Hörverständnis in weiteren Sprachen. Eine der Fremdsprachen sollte Englisch sein, möglichst aber nicht die erste. Generell sollten Nachbarschaftssprachen im schulischen Sprachenangebot Vorrang haben.“
(aus Gerhard Stickels Memorandum: Politik für die deutsche Sprache)

Die wohlklingende Rede von den „Nachbarsprachen” verschleiert, daß es keineswegs um Tschechisch oder Dänisch, sondern ausschließlich um das Französische geht. Romanisten haben diese Idee aufgebracht, und dahinter steht handfeste Verbandspolitik, natürlich auch der Kampf um die Stundentafel der Schulen.
Das Englische aus dem Rang einer ersten Fremdsprache hinausdrängen zu wollen, dazu haben auch die Politiker, an die sich dieser Appell ja nur richten kann, kein Recht. Die betroffenen Schüler und deren Eltern werden nicht gefragt.

Auch die „Tutzinger Thesen“ von 1999 wollten das Englische zugunsten der „Nachbarsprachen“ zurückdrängen: „5. SPRACHNACHBARSCHAFTEN. In den Grenz- und Übergangszonen zweier Sprachräume hat schon immer die jeweilige Nachbarsprache den privilegierten Status der wichtigsten, weil nächstgelegenen Fremdsprache gehabt. Es wäre wahrscheinlich weder für die Menschen noch für ihre Kultur gut, wollte man etwa im Oberrheingraben die Deutsch- und die Französischsprachigen dazu konditionieren, künftig vorrangig oder gar ausschließlich auf Englisch miteinander zu kommunizieren. Eine Option wäre die Erlernung der Nachbarsprache als erste und des Englischen als zweite Fremdsprache.“

Wiederum werden die Schüler und Eltern nicht gefragt.
Englisch ist dank der Nordsee keine "Nachbarsprache" für Deutsche, hat daher keine Chance, auf den ersten Platz zu gelangen. Nach Stickels Idealvorstellung wäre Deutschland ein Land, in dem Englisch an keiner Schule als erste Fremdsprache unterrichtet wird: Deutschland gegen den Rest der Welt. Eine weltfremde Konstruktion, aber nach unseren Erfahrungen mit der Rechtschreibreform darf man nichts für unmöglich halten.



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Kommentare zu »Bevormundung«
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 06.02.2007 um 18.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#7620

Manche wollen ja auch Latein als erste Fremdsprache (am Gymnasium), weil es "die Mutter aller Sprachen" sei. (Nur für Altgriechisch braucht man es nicht.) Als "Nachbarsprache" hat es wohl schlechte Karten.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 06.02.2007 um 19.22 Uhr  
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Die natürliche Verkehrssprache im Oberrheingraben ist Deutsch. Das ist Herrn Stickel selbstverständlich bewußt, aber seine politische Konditionierung läßt nicht zu, daß er es auch öffentlich sagt.

Übrigens zielt die Rede von den Nachbarsprachen nicht nur gegen das Englische, sondern auch gegen das Russische und Spanische.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 06.02.2007 um 19.49 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#7622

Nachbarsprachen und benachbarte Sprachen

Freilich sind mit "Nachbarsprachen" die Sprachen der Nachbarn gemeint – aber wessen Nachbarn? Die der in Deutschland lebenden Muttersprachler des Deutschen. Die Reduktion ihrer Vermittlung auf die "Grenzregionen", dafür aber einer forcierten Vermittlung ist ein Fehlgriff von Anfang an, auch wenn er von Staatsbehörden durchgedroschen wird. Der Effekt wird Aversion sein. Wer zählt die Völker, nennt die Namen, die da so an Deutschland (die BRD!) anrainen?

Ist es sinnvoll, in Deutschland eine Philologie der Anrainer – außer der Grand Nation zu studieren? Wahrscheinlich nicht. Die letzten Polonistiken werden gerade kassiert. Warum? Weil kaum ein deutscher Arbeitgeber einen deutschen Polonisten statt eines polnischen Germanisten beispielsweise als Übersetzer beschäftigt. Warum? Weil er billiger ist? Nein, aus anderen Gründen. Aus welchen? Tja, das erst wäre die Frage!
 
 

Kommentar von Herr Dalai Lama, verfaßt am 07.02.2007 um 09.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#7636

Man könnte mal wieder daran erinnern, daß diese ganzen Grenzregionen fast sämtlich einmal zu Deutschland gehörten und von unseren lieben Nachbarn annektiert wurden. Selbst Mayence war mal in französischer Hand, nach dieser Denkart müßten dann heute die Kinder in Wiesbaden und Frankfurt so gutnachbarschaftlich zuerst Französisch lernen sollen?
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 07.02.2007 um 09.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#7637

Direkte Nachbarn sind in ganz Deutschland für Millionen von Menschen die Türken. Wann kommt die Forderung nach Türkisch als erster Fremdsprache an Schulen? Damit wäre auch das Kommunikationsproblem auf Schulhöfen gelöst, und die Integration der deutschen Minderheit (in 50 Jahren) kann schon heute angebahnt werden.
 
 

Kommentar von Calva, verfaßt am 07.02.2007 um 09.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#7638

Türkisch als erste Fremdsprache
www.donews.de
 
 

Kommentar von Konrad Schultz, verfaßt am 07.02.2007 um 10.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#7642

Liebe Frau Pfeiffer-Stolz, ganz ausnahmsweise einen leisen Widerspruch zu einer Randbemerkung. Nicht in ganz Deutschland sind die Türken die wichtigsten Nachbarn. Im Osten sind die Polen häufiger. Und nach der Logik von Herrn "Dalai Lama", Französisch erste Fremdsprache in Frankfurt am Main (den Main bitte nicht vergessen), sollte Russisch erste Fremdsprache in Braunschweig und Würzburg sein.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 07.02.2007 um 10.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#7643

Das Problem in Deutschland sind nicht die Türken, die kein Deutsch können, sondern die Deutschen, besonders die Lehrer und Arbeitgeber, die kein Türkisch können.
 
 

Kommentar von David Weiers, verfaßt am 07.02.2007 um 12.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#7646

Da stimme ich Ihnen, verehrter Germanist zu, allerdings nur dann, wenn Sie die von Ihnen erwähnten Lehrer und Arbeitgeber zu derjenigen Generation zählen, die seit Jahrzehnten nicht müde wird zu betonen, daß ein Nebeneinander von verschiedensten Ethnien und Kulturen ein im höchsten Grade erstrebenswerter Zustand sei, der naturbelassen und gänzlich unmodifiziert (also ohne nur das geringste bevormundende Eingreifen einer vermeintlich substraten Kultur) die menschenfreundlichste und idealste, ja sowieso bestmögliche und friedfertigste Entfaltung des menschlichen Daseins ermögliche, weshalb sich genannte Lehrer und Arbeitgeber selbstverständlich nicht darum kümmern müssen, etwaigen durch Differenzen der Identitäten begründeten kulturellen Konflikten durch adäquate Vorbereitung zuvorzukommen, denn solche Konflikte kann es deren Ansicht nach in diesem naturbelassenen und gänzlich unmodifizierten Zustand gar nicht geben, solche Konflikte existieren nur als Hirngespinste und Schwarzmalerei des faschistoid-repressiven globalen und sich weiter globalisierenden Militärisch-industriellen-Komplexes.
...
Mit anderen Worten: Wenn da ein Lehrer oder Arbeitgeber sitzt, der einfach stillschweigend voraussetzt, daß dieser türkischstämmige und vorwiegend auch Türkisch sprechende Schüler bzw. Arbeitnehmer aber auch wirklich ganz genauso denkt und sich in der Welt sieht, wie er es tut, dann ist es sicherlich hilfreich, diesem Irrtum zu begegnen, indem man zusieht, wenigstens ein bißchen über die dort hilflos vor ihm Sitzenden Bescheid zu wissen, was durch Türkischlernen u.U. ja auch gefördert werden kann.
Wir Menschen sind auf diesem weiten Erdenrund in vieler Hinsicht nun einmal nicht alle gleich. Aber wenn allen, die nach Deutschland kommen, allerdings gezeigt wird, daß es eben bitteschön doch so zu sein hat, und infolgedessen also alles eingematscht und die Existenz eines im Volk vorhandenen spezifischen kulturellen Substrates heftigst abgestritten wird, dann darf man sich nicht wundern, daß es gewisse Probleme gibt, die wir nun einmal in diesem unserem Lande mit "Ausländern" haben.

Ich persönlich bin dafür, daß jeder Einwanderer dazu verdonnert wird, anständiges Deutsch zu lernen. Alles andere wäre gerade diesen Einwanderern gegenüber nachgerade kriminell. Aber das kann man schlecht fordern, wenn seit nunmehr gut zehn Jahren nicht einmal mehr die eigenen Kinder anständiges Deutsch lernen, weil sie es offiziell nicht mehr dürfen.

Jetzt Hals über Kopf Türkisch in den Schulen als Fremdspreche zu etablieren, hilft meiner Ansicht nach überhaupt nichts, da das nicht an der Wurzel des Problems ansetzt.
 
 

Kommentar von Kelkin, verfaßt am 08.02.2007 um 09.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#7659

Erstens sollten wir hier keine Diskussion über Einwanderungs- und Integrationspolitik führen, das könnte bei der heutigen Überwachungskamera-Mentalität nur dazu beitragen, dieses interaktive Tagebuch in Verruf zu bringen.

Zweitens ist mir der Themenbezug des Tagebucheintrags nicht ganz klar. Wenn Herr Ickler gegen Bestrebungen ist, Englisch als (real existente) dominante Weltverkehrssprache Einhalt zu gebieten, dann lässt sich darüber reden; nur eben schwerlich im Zusammenhang mit der Rechtschreibreform, die in vielen ihrer Eigenschaften eine Anbiederung an angelsächsische Orthographie und Lexik ist - Beispiel 'Freigabe der Kommaregeln', Beispiel 'Zurückdrängen des Eszett', Beispiel 'Auseinanderschreibung zusammengesetzter Wörter', Beispiel 'Genitiv-Apostroph vorerst nur bei Eigennamen, aber wer weiß...', Beispiel 'Integriertes Schreiben von Fremdwörtern, es sei denn solcher aus dem Englischen'. Wenn die Hotvolee mir mit potenziell schlechter Orthografie ins Portmonee greifen darf, warum kann ich sie dann nicht nach einem äktschenreichen Kauntdaun mit Ketschap bewerfen und anschließend auf der Müllkippe der Geschichte rißeikeln?
 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 08.02.2007 um 09.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#7660

Der Bezug zur RSR ist schon klar gegeben. Das eine wie das andere ist ohne das Wirken der Verbände nicht erklärbar.

Heute erklärt Spiegel-Online die KMK. Ohne die bekannteste Sünde dieses Ungremiums zu erwähnen.

Das Seltsame der Anbiederung an das Angelsächsische wären Ent-Anglisierungen wie "Tipp", "Potenzial" etc. Insofern ist z.B. der Genitiv-Apostroph eher nicht als Anbiederung ans Englische zu werten. Er ist – teilweise – die Lösung eines wirklichen Problems, und insofern kann ich mich mit der Freigabe durchaus anfreunden. Nehmen wir in dieser Hinsicht die Realität zur Kenntnis, und lassen wir die Schreibweise "Mimi's Imbißstube" doch als akzeptabel gelten, nicht hingegen eine "Imbissstube".
 
 

Kommentar von Red., verfaßt am 09.02.2007 um 02.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#7676

Wir bitten darum, beim Thema zu bleiben, das vom obenstehenden Tagebucheintrag vorgegeben ist. Für anderweitige Diskussionen steht das Forum zur Verfügung.
 
 

Kommentar von F.A.Z., 15.03.2007, Nr. 63 / Seite 4, verfaßt am 14.03.2007 um 20.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#8016

Klage gegen "Französischzwang"
Eltern kritisieren Fremdsprachenpolitik an der Rheinschiene

oll. FRANKFURT, 14. März. Gegen die Fremdsprachenpolitik der Stuttgarter Landesregierung an der Rheinschiene wird es nun eine Elternklage geben. Dort sollen die Schüler von mehr als 30 Gymnasien gezwungen werden, den in der Grundschule begonnenen Französischunterricht für mindestens drei Jahre mit mindestens drei Wochenstunden weiterzuführen. Eine Ausnahme bilden nur die humanistischen Gymnasien. Der Landeselternbeirat hatte schon Mitte Januar den Plan des Kultusministeriums abgelehnt, den Gymnasien an der Rheinschiene künftig alle Züge zu verbieten, die nicht Französisch von Klasse 5 an als Kernfach anbieten. Er hatte damals auf die Unvereinbarkeit eines Französischzwangs mit dem vom Ministerium propagierten Konzept der eigenständigen Schule hingewiesen.

Die neue Vorschrift, so begründete der Landeselternbeirat seine Entscheidung weiter, sei von Nachteil für den Erwerb nötiger Englischkenntnisse. Denn Englisch könne nun nicht mehr als erste Fremdsprache unterrichtet werden. Englisch könnte erst in der sechsten Gymnasialklasse beginnen. Außerdem erschwere die Vorschrift den Zugang zum Fach Latein - das sogenannte Biberacher Modell (Englisch und Latein parallel) wäre dann nur noch an wenigen humanistischen Gymnasien möglich. Geteilt wird die Kritik des Landeselternbeirats nicht nur von Altphilologen, die unter anderem darauf hinweisen, dass das gleichzeitige Lernen von Französisch und Latein leicht zu Verwechslungen führen könne. Auch der baden-württembergische Philologenverband besteht in seltener Eintracht mit der GEW auf der Wahlfreiheit der Eltern. Selbst aus der baden-württembergischen CDU sind Bedenken zu hören, dass ein Umzug von nur wenigen Kilometern die Schüler um Jahre in der Sprachausbildung zurückwerfen könne, da in Englisch wegen der knappen Schulzeit nicht Schritt gehalten werden könnte. Der FDP-Landtagsabgeordnete Dieter Kleinmann sagte: "Den Französischzwang contra Biberacher Modell am Oberrhein teile ich natürlich nicht", kann jetzt aber auch der Sprachlogik der fortgesetzten Grundschulsprache etwas abgewinnen. Die baden-württembergische SPD-Vorsitzende Ute Vogt unterstützt das Anliegen der Eltern entlang der Rheinschiene.

Im Dezember 2002 hatte der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass die von der Landesregierung beabsichtigte verbindliche Einführung des Grundschulfranzösischs rechtens sei. Damals zählte die Bewahrung der elterlichen Wahlfreiheit für das Gericht zu den wichtigsten Kriterien. Das Elternrecht könnte durch das Grundschulfranzösisch dann berührt sein, wenn ihre Möglichkeit, über den schulischen Werdegang ihrer Kinder zu bestimmen, deutlich eingeschränkt würde, hieß es in der Entscheidung.

Offenbar hatte das Kultusministerium den Eindruck vermittelt, mit der Grundschulfremdsprache Französisch werde keinerlei Vorentscheidung über die gymnasiale Sprachenwahl getroffen. "Vielmehr hat jeder Schüler unabhängig davon, welche Fremdsprache er in der Grundschule gelernt hat, im Rahmen seiner Begabung Zugang zu den weiterführenden Schulen", bekräftigte der Verwaltungsgerichtshof. Unklar ist, ob es in der baden-württembergischen Landesregierung oder im Kultusministerium einen Sinneswandel gegeben hat oder ob die Einschränkung der Sprachenwahl schon im Jahr 2001 beabsichtigt war, aber geheim gehalten wurde. Die Kabinettsbeschlüsse vom Mai 2000 und vom November 2001 jedenfalls rechtfertigen den Französischzwang an der Rheinschiene nicht. Auf diese Beschlüsse berief sich der amtierende Kultusminister Rau (CDU), damals Staatssekretär bei der heutigen Bundesbildungsministerin Schavan (CDU), in einer Antwort auf die Anfrage einer Landtagsabgeordneten der Grünen, die sich im Namen ihrer Partei empört über den Sprachzwang geäußert hatte.

Im Ministerratsbeschluss vom 23. Mai 2000 heißt es nur: "Die Kinder sollen ihre Grundschulfremdsprache in der weiterführenden Schule fortsetzen können", von "müssen" ist dort keine Rede. Auch der spätere Beschluss vom November sprach nur von der Möglichkeit, Französisch in Klasse fünf zu wählen. Entsprechend bekräftigte die damalige Kultusministerin Schavan, in den Gymnasien könne in Klasse 5 Französisch neben Englisch fortgeführt werden. Doch aus der Möglichkeit ist ein Zwang geworden, und das bringt die Eltern gegen die Landesregierung auf.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.03.2007 um 16.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#8029

An immer mehr Gymnasien wird Chinesisch unterrichtet. Beim Aufräumen fand ich im Keller noch einen Stapel "China im Bild" aus den frühen siebziger Jahren. Die Hefte konnte man damals abonnieren oder in einem roten Buchladen kaufen. China machte aber keine Anstrengugnen, die chinesische Sprache im Ausland zu fördern, sondern wollte nur Ideologie verbreiten. In besagten Heften setzten Bauern und Arbeiter unverdrossen ihren Kampf gegen Lin Biao und Konfuzius fort ... (Dem Meister Kung wurde vorgerechnet, daß seine Nachfahren noch im 20. Jahrhundert, in der 46. Dynastie, in der Gegend um Qu Fu Arbeiter und Bauern um ihren gerechten Lohn betrogen ...). Heute richtet China überall, auch bei uns hier in Erlangen und Nürnberg, Konfuzius-Institute ein und stellt vorzügliche Sprachlernmaterialien her. Schon als ich 1986 selbst in Qu Fu und auf dem Tai Shan war, hatte man die von der Kulturrevolution zerstörten Denkmäler alle wiederhergestellt, man sah aber noch die Bruchstellen.
Es gibt also eine aufblühende Sprachenpolitik Chinas, vielleicht müssen wir uns bald daran ein Beispiel nehmen.

Die Süddeutsche Zeitung, die vorgestern über Chinesisch an Münchner Gymnasien berichtete, wollte es besonders gut machen und protokollierte: "China zai nar? - China zai zher." (Wo liegt China? - China liegt hier.") Es ist aber nicht vorstellbar, daß die Elftkläßler nicht schon in der ersten Stunde gelernt haben sollten, daß China auf chinesisch ganz anders heißt, nämlich "Zhongguo". Außerdem wurde die fabelhafte Zahl von 50.000 chinesischen Schriftzeichen aufgetischt, wovon man aber nur 5.000 zum Zeitunglesen brauche (was auch stark übertrieben ist). Na ja, trotzdem ganz interessant.

Wer schon ein bißchen Chineisch versteht, sollte sich die überaus wohlklingenden "Selected Prose Readings" von Zhong Qin nicht entgehen lassen; der männliche Leser ist Fang Ming, eine bekannte Hörfunkstimme, und das Ganze weckt unwiderstehliche Lust, Chinesisch zu lernen.
 
 

Kommentar von Badische Zeitung vom Mittwoch, 21. März 2007, verfaßt am 23.03.2007 um 14.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#8065

Oettinger hält an Französisch fest

STUTTGART (rol). Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) will trotz Protesten an der geplanten Einführung von Französisch als verbindlicher erster Fremdsprache an den Gymnasien entlang der Rheinschiene festhalten. Er sehe "keinen Grund" , Änderungen vorzunehmen, sagte Oettinger gestern in Stuttgart. 2001 hatte die damalige Kultusministerin Annette Schavan entlang der Rheinschiene Französisch als Grundschulfremdsprache eingeführt. Im Sommer geht der erste betroffene Jahrgang auf die weiterführenden Schulen; an den badischen Gymnasien soll Französisch dann erste Pflichtfremdsprache werden. Dagegen protestieren Eltern, aber auch die Junge Union, die Jungen Liberalen sowie Teile der FDP.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 23.03.2007 um 14.54 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#8067

War es nicht Oettinger, der Englisch in seinem Ländle zur Pflichtsprache außerhalb der häuslichen vier Wände machen wollte?

Warum erinnert ihn niemand daran, wie das mit der Pflichtsprache in den wenig honorig dahingegangenen Ländchen war, das ihm vielleicht nur als historisches Akronym bekannt ist?

Müssen nur (z.B. in Hessen) die Schüler "verantworten" (O-Ton des dortigen Landesvaters), daß sie die FAZ lesen, oder haben Minister(präsidenten) auch etwas zu verantworten, so etwa ihre Äußerungen und Amtshandlungen?

Lernen Staatsinhaber nie etwas dazu, beispielsweise daß gerade im Bereich des Fremdsprachenerwerbs die Motivation eine wesentliche Rolle spielt? Sollte in einer Demokratie im Bildungsbereich Zwang nicht nur im absoluten Notfall und mit höchster Vorsicht erwogen werden?

Welche Effekte wird Zwangsfranzösisch im Rheingraben des Ländles haben? Dieselben wie einst Zwangsrussisch im Ländchen? Oettinger und seine Kultusministerialen sollten in fügliches Nachdenken verfallen.

Können Politiker ihre Machtgelüste nicht irgendwie anders austoben?
 
 

Kommentar von Badische Zeitung vom Samstag, 31. März 2007, verfaßt am 31.03.2007 um 20.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#8127

"Fünftklässler wollen Englisch lernen"
Diskussion über Pflichtfranzösisch an Gymnasien und die Wahlfreiheit der Schüler

Von unserer Mitarbeiterin Anja Bochtler

FREIBURG. Hauptsache Wahlfreiheit: Die Grünen sind gegen den künftigen "Französisch-Zwang" für Gymnasien an der Rheinschiene. Bei einer Podiumsdiskussion, die die Landtagsabgeordnete Edith Sitzmann (Bündnis 90/Die Grünen) am Donnerstagabend in Freiburg organisiert hatte, gab’s neben Argumenten gegen Französisch als Pflichtsprache auch generelle Kritik am Stil von CDU-Kultusminister Helmut Rau.

Die Grünen-Landtagsabgeordnete Renate Rastätter ist empört über das "obrigkeitsstaatliche Vorgehen" des Kultusministers, der "stur wie Beton" auf seinem "Projekt Französisch" beharre und zudem Eltern diffamiere, weil er die Argumentation des Landeselternbeirats nicht Ernst nehme. Berthold Krieger, den stellvertretenden Vorsitzenden des Freiburger Gesamtelternbeirats, stört die "Konzeptlosigkeit" des Französisch-Konzepts. Eltern und Lehrer im rund 40-köpfigen Publikum ärgern sich über die "geduckte Haltung" der Schulen gegenüber "einem Rückfall ins vordemokratische Zeitalter" , einer fühlt sich gar an den Absolutismus erinnert. Bis auf einen Grundschullehrer aus Waldkirch, der für die Kontinuität des Französisch-Unterrichts im Anschluss an vier Jahre Grundschulfranzösisch eintritt, sind sich alle einig: Zu einem "modernen Bildungskonzept" gehört größtmögliche Wahlfreiheit. Dagegen, betont Barbara Becker von der Lehrergewerkschaft GEW, falle Helmut Rau kein Argument ein — erst recht angesichts der Forderung nach immer stärkerer Profilbildung der Schulen.

(...)

Falls sich nun tatsächlich Eltern zu einer Klage gegen die "Französisch-Pflicht" entschließen, sollte sich der Freiburger Gesamtelternbeirat anschließen, regt eine Mutter an. Renate Rastätter schätzt die Chancen nicht schlecht ein: Zwar war einst die Klage gegen Französisch an den Grundschulen erfolglos — doch das Gericht habe betont, dass ja die Wahlfreiheit nach der Grundschule gesichert sei.
 
 

Kommentar von Badische Zeitung vom Freitag, 20. April 2007, verfaßt am 20.04.2007 um 19.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#8302

Voilà: Kinder müssen zuerst Französisch lernen

KARLSRUHE (dpa). An der Rheinschiene wird Französisch ab Herbst trotz starker Proteste erste Pflichtfremdsprache an den Gymnasien. Der baden-württembergische Kultusminister Helmut Rau (CDU) hat eine entsprechende Verordnung unterzeichnet. Einige Eltern wollen dagegen vor dem Verwaltungsgerichtshof klagen. Sie befürchten Nachteile, wenn ihre Kinder später Englisch lernen. An den Grundschulen der Rheinschiene zwischen Lörrach und Karlsruhe wird schon Französisch gelehrt. Rau zufolge erleichtere das die Mehrsprachigkeit und erhöhe die Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
 
 

Kommentar von F.A.Z., 12.06.2007, Nr. 133 / Seite 4, verfaßt am 11.06.2007 um 19.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#9015

Eilantrag gegen Französischpflicht

Die Eltern, die Mitte Mai eine Normenkontrollklage beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim gegen die Verordnung des baden-württembergischen Kultusministers Rau (CDU) eingereicht hatten, haben nun zusätzlich einen Eilantrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Verordnung gestellt. Nach dem Willen des Kultusministers sollen in dem 30 Kilometer breiten Gebiet an der französischen Grenze die Schüler an 60 Gymnasien ab Klasse fünf Französisch als erste Fremdsprache lernen. Die Anwälte der Eltern argumentieren, dass die Verordnung gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes verstoße. Der Freiburger Gesamtelternbeirat hat indes die Eltern an 26 Grundschulen gefragt, welche Sprache ihre Kinder zuerst am Gymnasium lernen sollen. 90 Prozent der 3095 befragten Eltern sprachen sich für die Wahlfreiheit aus, 78 Prozent der Eltern wünschen Englisch als erste Fremdsprache. (rso.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.07.2007 um 10.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#9787

Heute berichten die Zeitungen, daß der VGH Mannheim den Französischzwang für die Gymnasien aufgehoben hat. An den Grundschulen im Grenzgebiet wird aber weiterhin Französisch von der ersten Klasse an unterrichtet.
 
 

Kommentar von Badische Zeitung vom Mittwoch, 25. Juli 2007, verfaßt am 25.07.2007 um 11.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#9789

Schulen basteln an neuen Lehrplänen
Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs zur Französischpflicht verschafft Gymnasien viel Arbeit in den Ferien

Von Andreas Böhme und unseren Lokalredaktionen

STUTTGART/FREIBURG. Nur die CDU-Fraktion hält Kultusminister Helmut Rau die Stange, alle anderen Parteien, Lehrer- und Wirtschaftsverbände begrüßen den Beschluss des Mannheimer Verwaltungsgerichts gegen die Französischpflicht entlang der Rheinschiene. Dort versuchen die Gymnasien, sich über die Konsequenzen klar zu werden — und die fallen ganz unterschiedlich aus.

Nein, zurücktreten werde er nicht, erklärte Rau gestern in einer ersten Reaktion auf den Entscheid des Verwaltungsgerichts. Zurückrudern aber schon. Die Richter hatten offen gelassen, die Sprachenfolge an der Rheinschiene per Gesetz zu regeln — und nicht mit einer bloßen Rechtsverordnung, wie Rau sie am Parlament vorbei vorgesehen hatte. "Eine solche politische Entscheidung muss dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten bleiben" , begründete das Gericht seinen Beschluss. Rau erklärte, er werde kein Gesetz vorlegen, denn damit werde die Akzeptanz bei den Französisch-Gegnern auch nicht vergrößert.

Die Französisch-Revolution in Baden hatte schon vor Monaten begonnen. Eltern gingen auf die Barrikaden, weil das Kultusministerium Französisch in den Gymnasien am Rhein zur ersten Pflichtfremdsprache gemacht hatte. Lehrer, Politiker und Vertreter der Wirtschaft protestierten gegen die Verordnung, die am 1. August in Kraft treten sollte. Ein Karlsruher Schüler und seine Mutter hatten geklagt. Sie fühlten sich im Recht auf elterliche Erziehung und freie Entfaltung der Persönlichkeit verletzt. Kultusminister Rau hatte stets an der Französischpflicht festgehalten: Die Sprache des Nachbarn erleichtere den Weg in die Mehrsprachigkeit und erhöhe die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Ministerpräsident Günther Oettinger hatte sich hinter ihn gestellt.

Gestern stand Rau nur CDU-Fraktionschef Stefan Mappus bei — auch wenn innerhalb der Union Kritik an Raus Stil laut wird. Der Koalitionspartner FDP sparte nicht mit Häme: "Hätte Rau auf den Protest der Eltern und die Vorschläge der FDP gehört, hätte er sich die peinliche Niederlage ersparen können" , erklärte Fraktionschef Ulrich Noll. Die Arbeitsgemeinschaft gymnasialer Eltern in Nordbaden, die die Kläger unterstützt hatte, war nach dem Beschluss erleichtert. Die Vorsitzende des Landeselternbeirates, Christiane Staab, befand: "Dies ist ein guter Tag für die Bildungsgerechtigkeit im Land." Die Lehrergewerkschaft GEW prophezeite, dass der Beschluss einen Tag vor Ferienbeginn Chaos an den Gymnasien auslöse.

Tatsächlich hat es "wie eine Bombe eingeschlagen" , sagte Schulleiter Eberhard Schad vom Kreisgymnasium Bad Krozingen. "Es zeigt, dass unsere vorgesetzten Behörden nicht mehr in der Lage sind, realistisch zu planen." So kurz vor den Ferien sei kaum mehr etwas zu regeln: Die Eltern der 125 neuen Fünftklässler seien wohl nicht mehr zu erreichen und sicher auch keine Entscheidung zur ersten Fremdsprache zu erwarten.

Theoretisch können die Fünftklässler jetzt Englisch als erste Fremdsprache wählen. In der Praxis wird das vielleicht nicht an allen südbadischen Gymnasien möglich sein. "Ich habe gar keinen Englischlehrer mehr übrig" , sagte beispielsweise Rolf Behrens, Schulleiter des Freiburger Kepler-Gymnasiums. Konsequenzen hat die neue Situation vor allem für die Schulen, die beschlossen hatten, in der fünften Klasse nur mit Französisch zu beginnen. "Alle Schulen hatten die Deputatsplanung in trockenen Tüchern" , sagte Joachim Schröder vom Philologenverband Südbaden. Während einige, wie das Breisacher, Rheinfelder und Ettenheimer Gymnasium, an Französisch und Englisch als Pflicht in der fünften Klasse festhalten, wollen andere wie das Staufener Faust-Gymnasium in den Ferien neu planen.

Das Kultusministerium hat die Gymnasien an der Rheinschiene gestern gebeten, die Schulgremien einzuberufen. Die müssen entscheiden, ob die Fremdsprachenfolge geändert wird. Eltern sollten bis zwei Wochen nach den Ferien neu wählen können. "Für das Wohl der Kinder macht man die Arbeit gern" , sagt der Staufener Schulleiter Hans-Joachim Kraus. Ihn freut, dass künftig wieder Latein angeboten werden kann. An seinem Gymnasium war, trotz langer Tradition, keine Lateinklasse mehr zustande gekommen, weil die Eltern die einzig mögliche Kombination Französisch/Latein abgelehnt hatten.

Englisch/Latein wird es neben Englisch/Französisch auch wieder am Kant-Gymnasium in Weil am Rhein geben. Das hat eine eilends einberufene Schulkonferenz gestern Abend beschlossen. Am Markgräfler Gymnasium Müllheim ist Englisch/Latein auch beschlossene Sache — zur Freude der Eltern, die gemeinsam mit Staufenern ebenfalls Klage gegen die Französischpflicht eingereicht hatten. Um die neue Freiheit zu nutzen, muss Direktor Heribert Hertramph nur seinen "Plan B" aus der Schublade ziehen. In Erwartung der Gerichtsentscheidung hatte er vorausgeplant.
 
 

Kommentar von Badische Zeitung vom Mittwoch, 25. Juli 2007, verfaßt am 25.07.2007 um 11.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#9790

Fini — Französisch wird nicht Pflicht
Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim stärkt klagende Eltern / Kultusminister Helmut Rau (CDU) gibt seine Pläne auf

Von unserem Korrespondenten Andreas Böhme

STUTTGART. Gymnasien entlang der Rheinschiene sind nicht mehr verpflichtet, den Französischunterricht der Grundschule in Klasse fünf fortzuführen. In einer mündlichen Eilentscheidung gab der Verwaltungsgerichtshof Mannheim (VGH) gestern einigen klagenden Eltern Recht.

Für die regional unterschiedliche Sprachenfolge hätte es eines eigenen Gesetzes bedurft, sagten die Richter. Eine bloße Rechtsverordnung am Parlament vorbei genüge nicht. Das Gericht fordert eine "kontinuierliche Schulausbildung ohne Brüche" , die dann nicht gewährleistet sei, wenn Gymnasiasten von der Rheinschiene in die übrigen Landesteile ziehen, in denen die weiterführenden Schulen mit Englisch beginnen.

Kultusminister Helmut Rau (CDU) zeigte sich enttäuscht von dem Beschluss, der bis zur mündlichen Hauptverhandlung unanfechtbar ist. Es bleibe zwar beim nicht versetzungsrelevanten Grundschulfranzösisch entlang der Grenze. Er wolle nun jedoch kein Gesetz nachschieben, das die abweichende Sprachenfolge an den Gymnasien entlang des Rheins doch noch ermögliche. Damit werde die Akzeptanz nicht gestärkt.

Der Koalitionspartner FDP nannte den Beschluss des VGH eine peinliche Niederlage, die SPD sprach von einer schallenden Ohrfeige. Die Grünen rügten Raus "obrigkeitsstaatliches Verhalten, das jetzt abgestraft wurde" . Die Union indes stellte sich hinter ihren Kultusminister und bezeichnet die Kritik des Koalitionspartners als absurd und stillos.

Die Lehrergewerkschaft GEW befürchtet ein Chaos an den Schulen, weil Rau den Dialog mit den Französisch-Kritikern zu lange verweigert habe. Der Philologenverband monierte überdies, dass der von Raus Amtsvorgängerin Annette Schavan eingeführte Fremdsprachenunterricht in den Grundschulen 1600 Lehrerstellen blockiere, ohne dass nachhaltige Effekte erzielt würden. Rau informierte noch gestern die betroffenen Gymnasien. Dort muss zunächst die Gesamtlehrerkonferenz entscheiden, welche Sprachenfolge künftig gilt. Danach muss die Schulkonferenz bis spätestens Mitte September zustimmen. Das Schulministerium geht davon aus, dass die Stundenpläne zwar schulintern umgestellt werden müssen, aber keine Lehrer versetzt werden müssen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.10.2009 um 06.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#15197

Der Romanist Hans-Martin Gauger schrieb einmal, das Englische sei fast überall präsent, und er fuhr fort: „Darum ist die Motivation für das Erlernen des Englischen am größten. Bereits bei Kindern ist dies so, weshalb es ganz falsch ist, gerade mit dieser Sprache als erster Fremdsprache zu beginnen.“ (Debus, Friedhelm/Franz Gustav Kollmann/Uwe Pörksen, Hg.: Deutsch als Wissenschaftssprache im 20. Jahrhundert. Stuttgart 200021) Im selben Beitrag beklagt er das schlechte Englisch deutscher Wissenschaftler usw.

Ich kenne Gauger seit langem als einen äußerst friedfertigen Menschen, dem ich sogar schon vorgehalten habe, daß er – als Vizepräsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung – gegen die Rechtschreibreform zu wenig Biß zeige. Es ist also bestimmt kein böser Wille, der ihn hier zu einer so erstaunlichen Stellungnahme treibt. Die Eltern wollen, daß ihre Kinder möglichst gut, also möglichst früh Englisch lernen, und die Kinder wollen es auch. Die deutsche Schule aber soll es ihnen gerade deshalb vorenthalten und sie stattdessen zwingen, eine andere Sprache zu lernen (Gauger empfiehlt Französisch oder Latein). Was ist das für eine Auffassung von Schule, von Demokratie, von Freiheit? (Und von Pädagogik, wenn man sich mal die Folgen für die Motivation vorstellt ...)

Der Sammelband ist übrigens in einer schauderhaften Mischorthographie gedruckt, ss und ß wechseln oft im selben Satz usw. – für einen philologischen Spezialverlag wie Franz Steiner ist das unerhört, und für die Mainzer Akademie der Wissenschaften auch, die den Band herausgegeben hat.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 31.10.2009 um 18.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#15198

"Was ist das für eine Auffassung von Schule, von Demokratie, von Freiheit?" Natürlich beantworte ich diese rhetorische Frage genauso wie Ickler. Dennoch kann ich auch Gauger etwas verstehen. Er sieht das Fremdsprachenlernen im Bildungssystem eben ganz anders. Ich bezweifle, ob Icklers begeisterte "Eltern" und "Kinder" die Beherrschung der Differential- und Integralrechnung fürs Abitur für wichtig halten, — und dennoch ... Oder wenn in den USA fast alle Schüler als "Fremdsprache" Spanisch wählen, weil's eben die zweitmeistgesprochene Sprache in diesem Lande ist und deshalb später nützlich sein könnte, dann ist eben irgendwie doch die Frage berechtigt, ob es unter diesen Umständen eine Fremdsprache für Zwecke eigentlicher Bildung ist, z. B. zum Erwerb der *Fähigkeiten* fürs Erlernen einer weiteren Fremdsprache, die man später im Leben einmal braucht; und welche das ist, kann keiner jetzt schon wissen. Derartigem Denken entsprechend würde ich nicht mal Französisch vorschlagen, sondern eine Sprache, die sprachgeschichtlich so weit von der Muttersprache entfernt ist wie nur möglich. Aber unter den gegebenen Umständen bin natürlich auch ich schon glücklich, wenn in Deutschland die Leute in der Schule so gut wie möglich Englisch als die *lingua franca* lernten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.11.2009 um 09.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#15199

Wissen es die Kultusminister? Wissen es etwa die Pädagogen? Das ist wie bei Investitionen. Aber eine nachfrage-, d. h. kundenorientierte Schulpolitik liegt natürlich weit außerhalb der Möglichkeiten. Der Lehrplan wird von unbefragter Tradition und Lobbyinteressen bestimmt, und da ändert sich fast nichts oder nur sehr langsam.
Früher hat man sich Schule ohne alte Sprachen nicht vorstellen können. Griechisch ist weitgehend verschwunden, keiner hat es so richtig gemerkt. Latein könnte ebenfalls verschwinden, Englisch aber nicht.

Übrigens gibt es in der sprachenpolitischen Diskussion noch einen Gesichtspunkt, den ich bisher nur bei einem Informatiker gefunden habe: Vielleicht macht die maschinelle Übersetzung doch noch solche Fortschritte, daß sich das Problem der Mehrsprachigkeit erledigt: man würde dann z. B. über Kopfhörer fast simultan die Übersetzung hören usw. Deshalb, so der weitere Gedanke, solle man die Nationalsprachen nicht vorschnell aufgeben; es könnte sein, daß wir sie übermorgen noch brauchen, und dann würde man sich ärgern, sie nicht rechtzeitig ausgebaut zu haben.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 01.11.2009 um 11.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#15200

Eine kunden- und nachfrageorientierte Schulpolitik läuft auf die Abschaffung der allgemeinen Schulpflicht hinaus. Schließlich müßte eine solche Politik auch dem Fall gerecht werden, daß ein Kunde das Unterrichtsangebot insgesamt unattraktiv findet. Und umgekehrt: Die allgemeine Schulpflicht hat nur dann Sinn, wenn die Lehrpläne Stoffe enthalten, die nicht sowieso auf dem freien Bildungsmarkt nachgefragt werden.

Wobei sich über ein Ende der Zwangsbeschulung jederzeit reden läßt; sie ist ebenso fragwürdig wie die allgemeine Wehrpflicht. Allerdings bedeutet ein Ende des Schulzwangs entweder zugleich das Ende der Schulpolitik oder deren Umwandlung in ein staatliches Marktsteuerungsinstrument. Damit wäre wenig gewonnen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.11.2009 um 13.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#15201

Diese Schlußfolgerung ist offensichtlich nicht zwingend. Es gibt ja schon jetzt "Wahlpflichtfächer" und andere Pflichten, sich in einem bestimmten Rahmen etwas auszusuchen (z. B. Versicherungen). Warum so radikal? Ich wollte ja nur sagen, daß beim Kampf um die Stundentafel (denn darum handelt es sich seit dem Aufkommen der Realschulen im 19. Jahrhundert, also um berufsständische Interessen) die "Endkunden" am wenigsten gefragt werden. Gerade bei den Manifesten zum Fremdsprachenunterricht – ich kenne mehr als ein Dutzend – fällt auf, wie man ganz systematisch über die Köpfe der Betroffenen hinweg Vorschläge macht, die auf staatliche Zwangsbeglückung hinauslaufen. Den Anfang machten die "Homburger Empfehlungen für eine sprachenteilige Gesellschaft".
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 01.11.2009 um 15.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#15202

Wo es eine Wahl zwischen Englisch und Französisch gibt, herrscht mehr Freiheit als dort, wo die eine oder die andere Sprache vorgeschrieben ist, zugegeben. Das hilft aber etwa jemandem, der wie Herr Ludwig eine möglichst entlegene Sprache für die geeignetste erste Fremdsprache hält, nicht weiter. Wird die Verpflichtung auf ein Fach durch eine Wahlpflicht bzw. Pflichtwahl ersetzt, verschiebt sich das Problem lediglich; die Frage lautet dann, wer befugt ist, die Alternative zu formulieren.

Deshalb paßt die Pflichtversicherung bei freier Wahl des Versicherungsunternehmens auch nicht ganz als Beispiel. Sie bietet Freiheit, weil und insoweit nicht der Staat, sondern der Markt über die Wahlmöglichkeiten entscheidet. Gegenüber nichtstaatlichen Anbietern befindet sich der Versicherungsnehmer tatsächlich in der Position des Kunden, dessen Nachfrage das Angebot bestimmt. Vielleicht hätte ich es so herum ausdrücken sollen: Solange ein Abnehmer sich einem Anbieter gegenübersieht, der seinen Willen mit anderen als ökonomischen Zwangsmitteln durchsetzt, sind „Kunde“ und „Nachfrage“ ungeeignete Begriffe zur Beschreibung der Situation.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 01.11.2009 um 16.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#15203

Nachtrag: Übrigens findet sich der "Kunde" inzwischen auch in der Behördensprache; vermutlich als Zeichen bürgernahen Verwaltungshandelns gedacht. Am lustigsten ist es, wenn er vom Finanzamt im "Servicebereich" empfangen wird.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 01.11.2009 um 18.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#15204

Im Deutschen kommt das Wort "Sprache" von "sprechen", denn wenn es umgekehrt wäre, müßten wir jetzt reformiert "sprächen" schreiben. Nicht mehr gesprochene Sprachen sind folglich keine Sprachen, sondern Denkmäler; dieser Begriff wird auch für Texte in solchen Sprachen verwendet. Tote Sprachen sind nur für ganz bestimmte Berufe notwendig, nicht für die Mehrheit der Schüler. Aber lateinische und altgriechische Wortkunde sind unverzichtbar, verzichtbar sind dagegen lateinische und altgriechische Grammatik.
Übrigens denke ich immer über die Frage nach, ob ein Grund für das Schisma zwischen lateinischer und orthodoxer Kirche war, daß die Lateiner im Vatikan zu faul waren, Griechisch zu lernen, oder ob sie das gesprochene byzantinische Mittelgriechisch nicht mehr verstanden. Wie verschieden es vom Altgriechischen war, erkennt man anhand der vielen aus dem Griechischen übernommenen Wörter im Kirchenslawischen, die ihre mittelgriechische Aussprache abbilden. Die Griechen in Byzanz lehnten es ab, die "Barbarensprache" Latein zu lernen.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 02.11.2009 um 07.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#15205

Nanu? Das Eingangsthema hier ist zwar "Bevormundung", aber wieso ist mein Beitrag #15198 hier herausgenommen worden?
(Ist wieder eingesetzt. – Red.)
Um Mißverständnissen vorzubeugen ("der wie Herr Ludwig eine möglichst entlegene Sprache für die geeignetste erste Fremdsprache hält" [#15202]): ich "würde" (Konj. II!) heißt nicht, daß ich es täte, auch wenn ich eben Herrn Gauger "etwas verstehen" kann; und "Derartigem Denken entsprechend" heißt nicht, daß das danach Gesagte meinem eigenen Denken dazu entspricht. Die Frage mit meinem Beitrag ist, warum gehört Fremdsprachenlernen überhaupt zur Schulung/Bildung, was weiß ich, was da die Schule vermitteln soll. Ich kann mir jedenfalls auch vorstellen, daß man eine Fremdsprache auch lernen könnte, um einzusehen, wie interessant Sprache strukturiert sein kann, und nicht nur, um darin — auf welchem Niveau auch immer — passiv oder sogar aktiv mitzumachen.
Und selbst bei solcher Einstellung fiele etwas "Nützliches" ab: die Vorbereitung auf das Erlernen einer Fremdsprache, die man später auf einmal sehr schnell lernen müßte. Wie weit und ob überhaupt das noch mit Herrn Gaugers Gründen für Französisch oder Latein übereinstimmt, weiß ich nicht. Aber wer in der Schule Latein gelernt hat, ist eben schon auf einiges in Russisch vorbereitet, was er nicht ganz so wäre ohne diese Schulung. Mir hat es jedenfalls etwas geholfen, über so einiges im Japanischen nicht ganz so erstaunt zu sein, wie's Leute in meinen Kursen waren, die ohne Fremdsprachenkenntnisse ans Japanische gingen. Und Norwegisch — für Menschen mit der Muttersprache Englisch die am leichtesten zu erlernende Fremdsprache — hätte wohl meine Klassenkameraden weniger aufs Japanischlernen vorbereitet als eben mich mein Latein.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 02.11.2009 um 13.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#15206

Lieber Herr Ludwig, "derartiges Denken" hatte ich irrigerweise nicht auf Gauger bezogen, sondern auf diejenigen Amerikaner, die aus vordergründigen Nützlichkeitserwägungen heraus Spanisch lernen, statt sich ernsthaft um den Erwerb einer Fremdsprache zu bemühen. Diesem Denken hätte dann als Remedur die Verpflichtung der Schüler auf eine möglichst entlegene Sprache entsprochen: um ihnen die Flausen auszutreiben. Meine Deutung setzte freilich ein Ausmaß an pädagogischem Rigorismus und Bevormundungswillen Ihrerseits voraus, das mich hätte stutzig machen sollen.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 02.11.2009 um 15.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#15207

Aus meiner Kenntnis fast aller indogermanischen Sprachen hat Spanisch nach Englisch die zweit-einfachste Grammatik und ist deshalb für alle US-Amerikaner erlernbar, was für das tägliche Leben jedenfalls in der südlichen Hälfte der USA auch notwendig ist. Nebenbei: Warum sollen Schüler in Niederbayern und der Oberpfalz nicht in der Schule Tschechisch und in Sachsen, Brandenburg und MeckPomm nicht Polnisch lernen können, weil sie es im täglichen Leben brauchen? Diese Sprachen sind allerdings echte Herausforderungen. (Die einfachste slawische Sprache ist Slowakisch.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.11.2009 um 15.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#15208

In einem bekannten "Handbuch Fremdsprachenunterricht" wird Latein nicht dargestellt, weil es sozusagen außer Konkurrenz steht, also gar nicht als Fremdsprache anzusehen ist. Man könnte aber auch sagen, daß Englisch außer Konkurrenz ist, weil es wie die Grundrechenarten, Lesen und Schreiben einfach zu den Kulturtechniken gehört, die man sich sowieso aneignen muß. Das wird in wenigen Jahren gar nicht mehr diskutiert werden können, weil es sich von selbst versteht. Der Kampf um die Stundentafel wird dadurch einigermaßen entlastet. (Kann sein, daß ich diesen Gedanken schon mal geäußert habe. Ich habe ihn so ähnlich auch kürzlich irgendwo gelesen.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.11.2009 um 18.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#15209

Wir haben uns hier schon über die massenhaft auftretende "Magistra Artia" lustig gemacht, und überhaupt scheint der Nutzen des Lateinunterrichts, wenn man nach den Früchten urteilt, doch eher fraglich. Zum Beispiel steht auf den Internetseiten der "Gesellschaft für interkulturelle Germanistik" (die sich übrigens löblicherweise noch vielfach der herkömmlichen Rechtschreibung bedient) zur Rechtfertigung des ebenfalls löblichen generischen Maskulinums – wie lange schon? – der folgende Satz aus dem römischen Recht: "Pronuntiatur sermonis in sexu masculino ad utrum sexum plerumque porrigatur." Nun ratet mal schön, was das heißen mag! Das müssen doch Tausende von interkulturellen Germanisten gelesen haben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.02.2010 um 16.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#15725

Nicht nur der Staat, auch viele Wissenschaftler glauben besser als die Eltern zu wissen, was gut für die Kinder ist. Prof. Claudia Maria Riehl (Köln) setzt sich für frühe Zweisprachigkeit ein:

"Förderung von Kindern ohne Migrationshintergrund

· Das Potential, möglichst früh eine weitere Sprache zu lernen, darf nicht verschleudert werden. Die Vorteile der frühen Mehrsprachigkeit sind offensichtlich.
· Auch hier muss daher die Förderung einer zweiten Sprache bereits im Kindergarten einsetzen.
· Diese zweite Sprache sollte aber nicht Englisch sein, erstens da der Impetus Englisch zu lernen auch im späteren Alter sehr stark ist, und zweitens, weil man das Englische in Deutschland nicht in einer natürlichen Umgebung praktizieren kann.
· Die zweite Sprache sollte eine der Umgebungssprachen sein, d.h. eine Migrantensprache, da die Kinder diese dann in ihrer natürlichen Umgebung mit Gleichaltrigen auch praktizieren können."

http://www.laga-nrw.de/data/statement_zur_mehrsprachigkeit_claudia_maria_riehl.pdf

Mit diesem Ansinnen sollte man offen vor deutsche Eltern treten und sich anhören, was sie davon halten. Das Nachbarsprachenprojekt im Oberrheingraben war ja noch harmlos dagegen. Womit natürlich nichts gegen die schöne türkische Sprache gesagt sein soll.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.04.2010 um 10.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#15911

Nach langer Zeit (wohl 40 Jahre) wieder mal in Paris gewesen. Mir fiel auf, daß in Informationsblättchen (Hotel, Museen usw.) der Text meistens auf französisch, englisch und spanisch, aber nicht deutsch geboten wird. Meine wohlwollende Deutung: Von Deutschen setzt man voraus, daß sie mehr oder weniger auch das Englische verstehen. Die tägliche Beobachtung bestätigt es.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 04.04.2010 um 11.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#15912

Die Bibliothèque Nationale gibt selbst dem Portugiesischen den Vorzug gegenüber dem Deutschen. Deutsche Anfragen an das schlecht programmierte Anti-Google-Angebot »Gallica« werden automatisch auf die englischen Seiten umgeleitet.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.02.2011 um 12.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#18179

Die "Deutsche Sprachwelt" nutzt den "Tag der Muttersprache", um gegen Englisch und für Latein als erste Schulfremdsprache zu kämpfen. Auf die Argumente möchte ich nicht eingehen, da kann sich jeder selbst ein Urteil bilden. Aber wieder einmal fällt auf, daß – wie beim "Nachbarsprachenprojekt" – die Wünsche der Eltern und Schüler gar nicht berücksichtigt werden.
Übrigens doppelt merkwürdig, daß diese Ideen aus der Siemensstadt Erlangen kommen ...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.02.2011 um 12.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#18180

Wer den Kampf für "Deutsch ins Grundgesetz" verfolgt hat, wird auch dies genießen: www.wissenslogs.de.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.03.2012 um 08.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#20238

In der Beilage „Lernen“ der SZ vom 15.3.12 wird über den Frühbeginn des Fremdsprachenunterrichts und die Schulsprachenpolitik räsoniert. Nach Ursula Walther (Bundeselternrat) „würde man den Grundschülern besser Fremdsprachen nahebringen, die in einer Klasse ohnehin vorhanden sind – wie Türkisch, Polnisch, Kroatisch. 'Das Ziel ist doch, Kinder mit einer anderen Sprache und Kultur vertraut zu machen', sagt Walther. 'Ziel kann es jedenfalls nicht sein, den Gymnasiallehrern lauter Fünftklässler zu präsentieren, die auf demselben Wissensstand sind. Das ist absurd!'

Wie schon bei der Rechtschreibreform setzt sich Frau Walther über die Meinung der Eltern hinweg, die sie als stellvertretende Vorsitzende des BER doch verteidigen müßte. Man stelle sich eine Grundschule vor, an der den Eltern zu Beginn verkündet wird: Ihr Kind wird Kroatisch lernen, weil zwei Kinder in der Klasse ohnehin Kroatisch als Muttersprache sprechen. Und den kroatischen Eltern wird gesagt, ihr Kind könne leider kein Englisch lernen, weil – gerade ihretwegen – Kroatisch auf dem Lehrplan steht.

Das von Walther für absurd gehaltene Ziel ist glücklicherweise Leitsatz der deutschen Bildungspolitik: Nach Abschluß der Grundschüler sollten alle Schüler ungefähr "denselben Wissensstand" haben. Darauf beziehen sich alle Bildungsstandards usw. sowie das ganze Reden von der Vergleichbarkeit der Abschlüsse. Daß sich die Grundschüler dann trotzdem nicht gleichen wie Klone, ergibt sich von selbst, dafür braucht man nicht eigens zu sorgen.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 15.03.2012 um 12.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#20241

Türkisch als Fremdsprache für Türkenkinder ist eine Riesenidee. Der Gedanke, Italiener Italienisch zu lehren, existiert allerdings schon länger: www.youtube.com/watch?v=uOrCZAvwj20.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 15.03.2012 um 18.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#20247

Ich erinnere an den Volksaufstand in Baden-Württemberg, als in den grenznahen Gebieten zu Frankreich Französisch als erste Fremdsprache zwingend vorgeschrieben werden sollte. Die Leute wollen mit Recht als erste Fremdsprache die Lingua franka Englisch für ihre Kinder, weil sie damit auf der ganzen Welt zurechtkommen. Sogar in Frankreich kann man sich auf Englisch verständigen. (Wer aber als EU-Bürger mal in Deutschland arbeiten möchte, sollte schon in der Schule Deutsch lernen.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.12.2012 um 07.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#22070

Lesenswert ein Vortrag meines lieben Kollegen Hausmann:
www.fapf.de/html/lv/bayern/dokumente/FJH%20N%FCrnberg.htm
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.12.2012 um 09.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#22081

In einem Teil ihrer Ausgabe (6.12.12) wirbt die Süddeutsche Zeitung für den Frühbeginn mit Englisch bzw. einer anderen Fremdsprache, in einem anderen wird gerade dieser Frühbeginn für den Rückgang der Rechtschreibleistung in Bayern verantwortlich gemacht. Jedenfalls behaupten das die Gymnasiallehrer (d. h. ihre Verbandsfunktionäre). Die Rechtschreibreform wird nicht erwähnt, das ist weder für die Lehrerverbände noch für die Süddeutsche erwägenswert. Und doch haben die drei Reformen in zehn Jahren bei den Lehrern einen Verdruß erzeugt, der in Unlust und Gleichgültigkeit allen Rechtschreibfragen gegenüber mündet. Bezeichnenderweise wird bei enthusiastisch gefeierten Neuansätzen im Deutschunterricht regelmäßig hinzugefügt, Rechtschreibung spiele dabei keine Rolle – als wenn von Anfang an feststünde, daß eine sinnvolle Orthographie nicht zu den kommunikationsförderlichen Dingen gehöre.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 06.12.2012 um 13.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#22082

In der Schule sind die dass/das-Verwechslungen weiterhin die häufigsten Fehler. Das Wort "Rechtschreibreform" ist für die an deren Durchsetzung Beteiligten zum Tabuwort erklärt geworden, das nicht mehr erwähnt werden darf, auch weil es bei den Betroffenen nur noch Hohngeächter auslöst.
 
 

Kommentar von Stefan Stirnemann, verfaßt am 09.12.2012 um 09.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#22088

Lesenswert?
(Zu #22070)

Der Vortrag von Prof. Franz Josef Hausmann ist gewiß lesenswert, sofern man Verurteilungen des Schulfachs Latein in gedrängter Form lesen möchte. Ich hoffe allerdings, daß sich diese Gedanken nicht durchsetzen. Und ich frage mich, wie lange noch die immer gleichen Widerlegungen dieses Faches zum besten gegeben werden. Warum werden nicht Mathematik und Sport angeprangert? Wahrscheinlich ist hier das Bewußtsein, daß man sich irren könnte, deutlicher als beim Latein.

Und sollte nicht auch der Musikunterricht »auf ein der heutigen Zeit angemessenes Maß reduziert« werden? Schon Goethe sagte zu Eckermann, daß es nicht nötig sei, selber Musik zu machen, wo man doch jederzeit eine CD in eine Maschine schieben könne.

(Herr Hausmann zitiert Goethe, der es angesichts guter Übersetzungen für überflüssig hält, Griechisch, Lateinisch, Italienisch und Spanisch zu lernen. Der Satz wirkt schon beim zweiten Lesen so nichtssagend wie die gegenteiligen Sätze, die sich bei Goethe auch finden, und wie überhaupt alle allgemeinen Mitteilungen über den Bildungswert oder -unwert der Antike oder einer Sprache.)

Was hat das mit der Rechtschreibung zu tun?

Die Schweizer Orthographische Konferenz (SOK) erhielt in diesen Tagen eine Zuschrift aus einem großen deutschen Verlag: »Wir orientieren uns an den Empfehlungen der SOK (mit wenigen Ausnahmen, die insbesondere die Schweizer Besonderheiten betreffen). In dem Chaos der Rechtschreibung – wohl das Hauptergebnis der Reform – scheint uns das die
beste Richtlinie.«

Diese Empfehlungen sind so zustande gekommen: Die Arbeitsgruppe der SOK traf sich zu vielen Sitzungen bei der Schweizerischen Depeschenagentur (SDA) in Zürich und prüfte Regelwerke, Wörterlisten, Wörterbücher, Grammatiken, Zeitungen und die sogenannte schöne Literatur.

Eine Hauptstütze waren Hermann Pauls »Prinzipien der Sprachgeschichte«. Ohne Latein kann man das Buch nicht ausschöpfen. Auch das Deutsche Wörterbuch stand (und steht) in den Regalen der SOK. In ihm sind die Wortbedeutungen oft lateinisch angegeben, z.B. Aufwand »impensa«, aufwenden »impendere«. Wird Latein zu einer Geheimsprache, so werden ganze Fachbibliotheken zu Zaubergärten, deren Pforte man mit scheuem Zeigefinger antupft, in die man nicht einzutreten wagt.

Mit besonders lautem Lachen hat die Arbeitsgruppe der SOK geprüft, was die Reformer zu den Zusammensetzungen aus Partizip 1 mit Objekt anbieten.
Wer die Geschichte von Bildungen wie »fleischfressend« untersucht, landet in der lateinischen und griechischen Literatur: nicht im Zeichen einer höheren oder höchsten Bildung, sondern bei der alltäglichen und handfesten Arbeit.

Genau in diese handfeste Arbeit müssen Gymnasiasten und Studenten eingeführt werden. Herr Hausmann sagt, daß ein Student des Lehramtsfaches Französisch für die Literatur keine Lateinkenntnisse nötig habe. Und wenn der Lehrer mit den Schülern Flauberts Salammbô lesen will? Sollte er dann nicht doch einen möglichst scharfen Begriff vom Hintergrund dieses Werkes haben, die Autoren und Bücher kennen, die der Vielleser und Stilmeister Flaubert kannte?


Herr Hausmann setzt sich dafür ein, daß das Ministerium auf die Forderung nach Latinum für Gymnasiallehrer in Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch verzichtet. Falls das Ministerium dies tut, muß es zugleich sicherstellen, daß die Schüler genauso kenntnislos sind wie ihre Lehrer und nicht aus eigenem Lesen und Nachforschen plötzlich Dinge wissen, vor denen der Referendar oder Studiendirektor die weiße Fahne hissen muß: etwa, daß der Rechtspositivismus nur das vom Staat gesetzte Recht anerkennt (positum) und daß es daneben oder darüber noch ein anderes Rechtsbewußtsein gibt, wie es z.B. in der regula aurea, der Goldenen Regel erscheint. Auch Gustav Radbruchs wunderbares «Kleines Rechtsbrevier» wird ohne Latein zu einem Zauberbuch. Ich habe zu dieser Frage den Aufsatz »Mitten ins Denken« geschrieben, der im »Schweizer Monat« erschien (www.swisseduc.ch/altphilo/news/docs/schweizer_monat_nov2011.pdf).

Wie verhindert das Ministerium, daß die Schüler mehr wissen als ihre Lehrer? Ein Ausweg wäre, daß nur noch die Reihe »Einfach klassisch« gelesen werden darf, die alle Ansprüche einebnet. Man gewinnt Zeit fürs Fernsehen. Die echte Literatur könnte man zur Sicherheit der Altpapiersammlung übergeben.

Schüler und Studenten haben Anspruch auf volle Einsicht. Sie wollen sie auch. Die neue Rechtschreibung ist unter anderem eine Folge der Auffassung, daß von Schülern möglichst wenig verlangt werden sollte.

Spricht nicht dieselbe Haltung aus den Verurteilungen des Faches Latein?

Die SOK ist dabei, die Lage neu zu beurteilen. Wie wird in Verlagen und Medien tatsächlich geschrieben? Was tut der Rat für Rechtschreibung? Die SOK wird im neuen Jahr, also demnächst, Ergebnisse vorlegen und Maßnahmen vorschlagen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 09.12.2012 um 14.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#22090

Die Schule vermittelt großenteils weltfremdes Wissen. Das ist seit Jahrhunderten so, alles Gegensteuern (man denke etwa an die Gründung der Realschulen) war umsonst. Die meisten Schulabgänger haben keinen Schimmer von Recht, Wirtschaft, Medizin und Technik, also ausgerechnet von den wichtigsten Studienfächern. Ob die solcherart Ungebildeten die Schule mit rudimentären Latein- oder rudimentären Französischkenntnissen verlassen, spielt da doch eine vergleichsweise untergeordnete Rolle.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 09.12.2012 um 19.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#22092

Bayern war das letzte Bundesland bei der Einführung der neunten Hauptschulklasse, der zehnten Realschulklasse, der sechsjährigen Realschule und wird das letzte Bundesland bei der Einführung von Latein als dritter Fremsprache sein. Vermutlich fühlt sich Bayern ("Baiovaria") als örtlicher Nachfolger des Römischen Reiches, das ja bis zur Donau reichte. Nach neuester Forschung ("Die Anfänge Bayerns") bestehen die Bayern aus einheimischen Kelten und dagebliebenen romanischen Verwaltungsfachleuten; nur die Sprache wurde germanisiert. (Das katholische Christentum als Staatsreligion hatten sie schon seit 392.)
Germanistik-, Anglistik- und Romanistik-Studenten, die das Nachholen-Müssen des bayerischen Großen Latinums fürchten oder nicht schaffen, gehen in andere Bundesländer, z.B. nach Hessen, wo sie nur einige Scheine in Latein bis zum dortigen Staatsexamen machen brauchen, und werden dort Gymnasiallehrer.
Englische Hard Words auf lateinische Wortfamilien zurückführen zu wollen, kann voll danebengehen, weil sie oft nur mit einer Spezialbedeutung übernommen wurden. Die einsilbigen Alltagswörter des klassischen Lateins wurden in den romanischen Sprachen durch mehrsilbige umgangssprachliche Vulgär-Latein-Wörter ersetzt. Die verblüffenden Ähnlichkeiten der romanischen Grammatiken lassen auf eine gemeinsame sehr verbreitete Wurzel schließen, die noch auf die Erschließung wartet.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.12.2012 um 06.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#22097

Latein und Griechisch sind eine unerschöpfliche Quelle für Fremdwörter und Neubildungen und werden es bleiben, auch wenn niemand mehr diese Sprachen hinreichend lernt. Interessant ist der gegenläufige Trend bei der Lehnsyntax. Ich denke an solche Konstruktionen:

Es handelt sich hier um Überetzungen, die man eigentlich nur bei bekanntem Original versteht. (Neue Rundschau 1979:226)

Ich glaube, daß solche Nachbildungen des lateinischen abl. abs. früher häufiger waren. Von selbst würde ein deutscher Sprecher nicht darauf kommen, sich so auszudrücken.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.03.2013 um 05.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#22861

Eine französische Leserbriefschreiberin beschwert sich in der FAZ darüber, daß die Deutschen nicht hinreichend Französisch könnten, so daß französische Wörter von Deutschen falsch ausgesprochen werden, zum Beispiel die Automarke Citroën. Ein deutscher Professor habe kürzlich gar cigane geschrieben. Wahrscheinlich druckt die Zeitung so etwas nur ab, um Retourkutschen zu provozieren.

Wikipedia schreibt in einem auch sonst törichten Artikel über "Französischunterricht" u. a. dies: Auch stellt sich die Frage nach dem politischen Willen, wenn Französisch in Deutschland von 24 Prozent der Schüler erlernt wird, im EU-Durchschnitt aber von 33 Prozent der Schüler (Quelle: Weißbuch Lehren und Lernen der Kommission der EU, 1995).

Abgesehen davon, daß die Daten mindestens 20 Jahre alt sind: Soviel ich weiß, lernen nur 12 Prozent der Franzosen Deutsch. Über den tatsächlichen Erfolg müßte man gesondert reden. In der DDR wurde flächendeckend Russisch gelernt, aber die Erfolglosigkeit wegen mangelhafter Motivation durfte sogar in DDR-Zeitschriften besprochen werden.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 27.03.2013 um 11.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#22864

Wenn man Schüler allgemein für die romanischen Sprachen oder für die slawischen Sprachen begeistern möchte, wären als leichteste Einstiege Spanisch bzw. Slowakisch zu empfehlen. Ich habe es auch erst auf Umwegen herausgefunden.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 27.03.2013 um 13.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#22865

Es ist aber fraglich, ob man Begeisterung immer für das Einfachste empfindet. Wen man ständig zum Lernen antreiben muß, den kriegt man vielleicht mit einer einfachen Sprache am ehesten rum, aber direkt begeistert wird er davon auch nicht sein. Nützlichkeit, vielleicht auch mal etwas Ausgefallenes werden schon eher Neugier und Begeisterung auslösen.

Deutsche sprechen die Automarke Citroën falsch aus?
Wie sprechen die Franzosen denn die deutsche Marke [merzédes], den deutschen Namen Strauß-Kahn oder den ungarischen Namen Sarkozy aus?

Mir fällt im allgemeinen auf, daß Deutsche Fremdwörter eher fremd aussprechen, Ausländer hingegen machen sich kaum etwas daraus, Fremdwörter nach deren Herkunft auszusprechen.
Sogar Deutsche sagen [schtross-kahn], Franzosen würden niemals [merzédes] sagen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 27.03.2013 um 14.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#22866

Ach so, ja, nur die Deutschen setzen zwei Pünktchen aufs e (Citroën), obwohl sie so einen Buchstaben nicht kennen. Den Franzosen ist das egal, sie schreiben ss statt ß: Strauss-Kahn.
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 27.03.2013 um 15.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#22867

Mir fiel einmal eine arabische (oder zumindest arabisch beschriftete) CD in die Hände, die betitelt war "Musar fil Misr". Ich habe einige Zeit gebraucht, festzustellen, daß es sich um die Oper "Mozart in Ägypten" handelte – in französischer Aussprache!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.05.2013 um 05.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#23244

In Frankreich regen sich manche darüber auf, daß an den Universitäten auch auf englisch gelehrt werden soll. Dabei kommen die bekannten Illusionen über die Bedeutung der Frankophonie zum Vorschein. Vor einigen Jahrzehnten war es immerhin eine kleine Meldung wert, daß z. B. am Institut Pasteur alle abonnierten Fachzeitschriften in englischer Sprache gehalten waren. Diesen Lauf der Dinge hält weder Ochs noch Esel auf.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.01.2014 um 06.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#24911

"Im Saarland soll bis 2043 neben der deutschen Sprache Französisch als zweite Verkehrs- und Umgangssprache etabliert werden. Das kleinste deutsche Flächenland, das an Frankreich und Luxemburg grenzt, wäre damit das einzige vollständig mehrsprachige Bundesland. Die in einer großen Koalition regierende Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und ihre Stellvertreterin Anke Rehlinger (SPD) präsentierten in Saarbrücken die entsprechenden Vorschläge ihrer „Frankreich-Strategie,“ um dieses Ziel als „Alleinstellungsmerkmal“ gegenüber anderen Bundesländern zu erreichen.
„Die von 2013 an geborene Generation soll alle Chancen erhalten, damit sich innerhalb von drei Jahrzehnten die französische Sprache neben Deutsch zur zweiten Umgangs- und Bildungssprache im Saarland entwickeln kann“, sagte Kramp-Karrenbauer. Das wegen seiner hohen Verschuldung und der zurückgehenden Bevölkerungszahl in den nächsten Jahren politisch um seine Eigenständigkeit kämpfende Saarland will nach den Worten der CDU-Politikerin zudem so als „Brücke nach Deutschland und als Tor zu Frankreich unentbehrlich“ werden. Nach den Plänen der schwarz-roten Koalition soll Französisch schon in der frühen Kindheit vermittelt und unterrichtet werden - in Kitas und in Grundschulen." (FAZ 21.1.14)

Wie Günther Nonnenmacher heute in einem Leitartikel darlegt, wird dieses Projekt wahrscheinlich ebenso an den Gerichten scheitern wie seinerzeit das entsprechende am Oberrhein. Es verstößt gegen das Elternrecht. Eine maßvollere Zielsetzung hätte bessere Aussichten als der übermütige Plan, die ganze Bevölkerung sprachlich umzurüsten. (Oder will man wieder einmal alle Vergleichsmöglichkeiten beseitigen – etwa in dem Sinne, daß niemand einen Vorteil durch Beherrschung des Englischen genießen soll? Das würde erst recht schiefgehen.)
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 23.01.2014 um 16.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#24920

Wieso besteht Bevormundung eigentlich nur darin, Französisch als Pflichtfach unterrichtet zu bekommen, und nicht im obligatorischen Englischunterricht (jetzt oft schon ab der ersten Klasse!) Es soll ja m.W. nicht verboten werden, außerdem auch Englischunterricht zu erhalten. Zwei Fremdsprachen gehören doch zum normalen Standard. Nonnenmacher schreibt etwas von Englisch als "lingua franca der Globalisierung". Globalisierung ist anscheinend Staatsraison. Was ist, wenn nun Eltern wünschen, nicht durch exzessiven Englischunterricht bevormundet zu werden?
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 23.01.2014 um 16.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#24921

Nachtrag: Noch schöner wäre es natürlich, wenn in Lothringen (zumindest im Departement Moselle) und dem Elsaß nicht nur die eine oder andere Speisekarte auch auf deutsch gedruckt würde.
Und ganz besonders schön wäre es, wenn die FAZ und andere wenigstens vernünftiges Deutsch schreiben könnten, also nicht "Elsass" und "Brü-cke" getrennt wie "Brü-derlich".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.01.2014 um 16.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#24922

Wenn die Eltern das so wollen, soll es geschehen. Aber am Oberrhein ist es am Widerstand der Eltern gescheitert. Die Nachbarsprache als erste Fremdsprache ist, wie dargelegt, erstens ein Projekt der Romanistenlobby gewesen und zweitens ein politisch-ideologisches mancher Regierungen. "Bevormundung", weil es über die Elternwünsche hinweggeht bzw. diese gar nicht erst zu ermitteln versucht, weil man ohnehin alles besser zu wissen glaubt.

Das Saarland soll nach Aussage der Ministerpräsidentin zu einem zweisprachigen Land gemacht werden und damit ein "Alleinstellungsmerkmal" erwerben. Aber vielleicht wollen die Eltern gar nicht an einem solchen Projekt mitwirken?
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 23.01.2014 um 20.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#24925

Ja, der Elternwille... Daran ist in Hamburg auch die Sekundarschule (oder wie es hieß) gescheitert. Ganz anderes Beispiel: Im Irland des 19. Jahrhunderts gab es die bekannten Schikanen gegen Schüler, die ihre Muttersprache sprachen (Schuh um den Hals, Eselsmütze,... samt Aufforderung zur Denunziation anderer Schüler). Das fand durchaus den Beifall der Eltern, die meinten, um was zu werden in der Welt, müsse man Englisch sprechen. Was soll man mit dieser Bauernsprache Irisch, die doch nur für Rückständigkeit und Armut stand? Eltern, die selber kaum ein Wort Englisch konnten, fanden es gut, wenn ihren Kindern das Irische ausgeprügelt wurde. Immerhin dachten nicht alle so, und den Bemühungen der Conradh na Gaelge ist es zu danken, daß die irische Sprache noch existert (Auch wenn der Versuch der Republik, den Schülern das Irische wieder einzuprügeln, weniger erfolgreich war). Im Nordirland unserer Tage wiederum treten die von Elterninitiativen getragenen Gaelscolanna erfolgreich gegen die staatlich verordnete Englischsprachigkeit an.
Die Frage des Elternwillens in Sachen Schwimmunterricht oder Sexualkunde (oder Vorführung des Films "Krabat"!) schneiden wir jetzt besser nicht an. Lieber noch ein anderer Aspekt, wo doch in den Zeitungen betont wird, das Saarland ringe um seine Eigenstaatlichkeit: Die Eigenstaatlichkeit des Saarlands ist ja eine französische Erfindung. Das Thema ist somit noch pikanter als im Südweststaat. Allerdings hat wohl noch keiner den Rassemblement pour la ratachment de la Sarre a la France als Wiedergänger aus dem Sarg steigen sehen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 23.01.2014 um 22.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#24926

Die irischen Eltern, die sich für ihre Kinder vom Englischen mehr versprachen, hatten ja recht. Eltern denken eben anders als Linguisten oder Nationalromantiker.

Daß das Saarland ein französisches Konstrukt ist, stimmt natürlich. Es soll nun mit Hilfe der französischen Sprache am Leben erhalten werden, zum Wohle seines Regierungs- und Verwaltungsapparats. Das paßt doch gut zusammen.
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 24.01.2014 um 21.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#24931

Nach dieser These ist es logisch ausgeschlossen, daß "Linguisten oder Nationalromantiker" auch Eltern sein könnten. Ich glaube nicht, daß sich das empirisch belegen läßt. Aber ganz unabhängig davon: Es sind, wie erwähnt, gerade engagierte Eltern, die darauf beharren, ihre Kinder auf Gälisch unterrichten zu lassen; entsprechend in der Bretagne die Diwan-Schulen. Abgesehen davon, daß das Englisch, das die Iren sprechen, für einen "normalen" Engländer kaum verständlich ist, die soziale Minderwertigkeit somit noch betont, stimmt es auf kurze und kurzgedachte Sicht, daß man für die Auswanderung in die USA, nach Australien oder, Sparversion für ganz Arme, nach England, Englisch können sollte. (Menschen waren über ein Jahrhundert lang der wichtigste Exportartikel Irlands.) Jenseits des utilitaristischen Ansatzes kann man freilich meinen, daß es ein bewahrenswertes kulturelles Erbe gibt. (Auch das Irische hat da einiges zu bieten, man denke nur daran, daß Glocke ein irisches Wort ist.)
Zum anderen: Wenn man länger nachdenkt, kann man durchaus auf den Gedanken kommen, daß es gerade die imperialistische Ausbeutungs- und Unterdrückungspolitik ist, die einen in Armut und Rückständigkeit hält, und daß die Zerstörung der nationalen Identität Teil dieser Politik ist. Gerade die irische Geschichte ist ein Musterbeispiel dafür. Soll man sich nun unterwerfen, die Sprache und Kultur des Imperiums annehmen, in der Hoffnung, auf die andere Seite wechseln zu können? Oder soll man sich auf die eigene Stärke besinnen, die eigene Kultur und Sprache als der des Imperiums gleichwertige pflegen? Der Parteiname Sinn Féin ist programmatisch. (= "Wir selbst". féin ist das Reflexivum, sinn = "wir" ist eine dialektale Variante zum als standardsprachlich geltenden muid.)

Noch kurz zum Saarland, auch wenn es wieder von der Sprache abführt: Verwaltet werden muß das Land auch, wenn es Teil von Rheinland-Pfalz würde. Die Einsparungsmöglichkeiten werden da gerne überschätzt. Und daß die Saar von Mainz aus besser regiert würde, darf man füglich bezweifeln.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 24.01.2014 um 22.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#24932

Nun ja, Ivar Aasen, Jacob Grimm und W. B. Yeats z. B. blieben alle unverheiratet und kinderlos. Vielleicht gibt es ja tatsächlich einen Zusammenhang.

Irisches Englisch ist für Südostengländer (oder auch für Deutsche) nicht schwerer zu verstehen als z. B. Scouse. Aber das ist ohnehin nicht entscheidend. Selbst ein noch so eigentümliches Englisch kann eine wichtige Grundlage für sozialen Aufstieg sein. Das haben die kolonialisierten Kelten genauso verstanden wie heute die nach England einwandernden Polen.
 
 

Kommentar von Argonaftis, verfaßt am 25.01.2014 um 01.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#24934

Bevormundung
Nach dem Krieg war in der französisch besetzten Zone erste Fremdsprache auf dem Gymnasium Französisch ab Sexta.
Das Fach lief bis zur Unterprima. Der von mir gewählte naturwissenschaftliche Zweig bot die Möglichkeit, Latein ab Quarta hinzuzunehmen bis zum großen Latinum.
In der Oberstufe wurde fakultativ Englisch angeboten. Nach wenigen Wochen starb dieser ohnehin nur von wenigen Klassenkameraden besuchte Englischkurs bei einem schrulligen Studienrat. Der drohte damit, sich bei falscher englischer Aussprache aus dem Fenster zu stürzen. Solche Originale gibt es heute nicht mehr.
Grund für das Ende des Kurses war aber nicht dieser Lehrer. Wir hatten ganz einfach am Nachmittag so ein Loch im Bauch, daß keiner den Hunger ausgehalten hat.
Von meinen Klassenkameraden hat nicht ein einziger beruflich jemals Französisch gebraucht. Mehrere sind Lehrer geworden, keiner mit Fach Französisch.
Wir haben im nachhinein sehr bedauert, nicht von Anfang an im naturwissenschaftlichen Zweig Englisch gelernt zu haben.

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.01.2014 um 05.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#24935

Der Elternwille ist natürlich oft nur schwer festzustellen, zumal viele Eltern entweder selbst nicht so genau wissen, was sie wollen oder in einem Strom der Meinungen mitschwimmen, als Opfer der Propaganda. Außerdem kann lokal der Ruf einer Schule wichtiger sein als der Lehrplan. In meinem Umkreis habe ich jedoch imnmer wieder erlebt, daß Menschen es bedauern, so viel Latein usw. und so wenig Englisch gelernt zu haben. Meine Frau und meine Töchter müssen oft aushelfen, aber selbst ein durchgesehener Text ist kein Ausgleich für ein halbwegs flüssiges Englisch als internationale Gebrauchssprache (wir haben hier in Erlangen viel Siemens). Es wird zwar versichert, das Französische im Saarland solle keineswegs dem Englischunterricht das Wasser abgraben, aber in Wirklichkeit ist es eben doch so. Nichts gegen Französisch! Das muß ich immer wieder sagen, wie ich ja auch naturgemäß nichts gegen Latein und Griechisch haben kann. Aber an Englisch führt kein Weg vorbei. Erst danach kann man über andere Sprachen und Fächer sprechen. Das sind einfach Tatsachen, darüber kann man bei allen sonstigen Meinungsverschiedenheiten nicht diskutieren.
Eine nicht-künstliche Welthilfssprache zu haben ist doch auch ein großes Glück. Wer sich im Internet herumtreibt ("surft"), freut sich immer wieder, zwischen all dem Japanisch oder Finnisch auch eine englische Version des Gesuchten zu finden, nicht wahr? Das gilt auch für Zeitschriften. Texte in den romanischen Sprachen kann ich mir alle zusammenreimen, Französisch lese ich ohne Mühe, aber wenn eine englische Version dabei ist, lese ich diese.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 25.01.2014 um 09.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#24937

Historiker brauchen Französisch, weil sie alte Urkunden im Original lesen können sollen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.01.2014 um 06.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#24947

Ja, wenn die Urkunden französisch geschrieben sind. Sind sie hethitisch geschrieben, braucht man Hethitischkenntnisse.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.04.2015 um 06.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#28739

Der Streit um die Schulsprachen, zur Zeit von Frankreich angeheizt, wird nie zur Ruhe kommen, weil das Schulwesen unter der Aufsicht des Staates steht und daher angebotsorientiert ist (um es mal in der nicht fernliegenden Sprache der Ökonomie auszudrücken). Der Staat weiß besser als die Eltern, was für die Kinder gut ist. In der FAZ erinnern zwei Parlamentarier an den Elysée-Vertrag. Den zitiere ich etwas vollständiger:

„Die beiden Regierungen erkennen die wesentliche Bedeutung an, die der Kenntnis der Sprache des anderen in jedem der beiden Länder für die deutsch-französische Zusammenarbeit zukommt. Zu diesem Zweck werden sie sich bemühen, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um die Zahl der deutschen Schüler, die Französisch lernen, und die der französischen Schüler, die Deutsch lernen, zu erhöhen.
Die Bundesregierung wird in Verbindung mit den Länderregierungen, die hierfür zuständig sind, prüfen, wie es möglich ist, eine Regelung einzuführen, die es gestattet, dieses Ziel zu erreichen. Es erscheint angebracht, an allen Hochschulen in Deutschland einen für alle Studierenden zugänglichen praktischen Unterricht in der französischen Sprache und in Frankreich einen solchen in der deutschen Sprache einzurichten.“

Also: Schulsprachen dienen der deutsch-französischen Zusammenarbeit, einem politischen Ziel. Die "Kunden" haben nichts zu sagen.

Die beiden Politiker heben auch wieder die Bedeutung der "Nachbarschaft" hervor. Ist das für die Sprachenwahl wichtig? Wer würde sagen: Mein Kind soll Französisch lernen, weil die Franzosen unsere Nachbarn sind und weil es der deutsch-französischen Zusammenarbeit dient?

Nachfrage ist nur im Rahmen des Angebots möglich. Wie wäre es, Angebote nur im Rahmen der Nachfrage zu machen?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.06.2015 um 04.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#29155

Zu #15209:

Nach so vielen Jahren hat anscheinend immer noch keiner bemerkt, was das für ein krauses Latein ist (www.germanistik.unibe.ch/gig/seiten/aims.htm). Ist ja auch so gleichgültig wie die ganze "interkulturelle Germanistik".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.07.2015 um 07.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#29446

Natürlich ist es Unsinn, daß man an einer toten Sprache wie Latein oder Altgriechisch am besten erkennen könne, wie eine Sprache funktioniert. Dieses Argument schwächt die Position der Altsprachler eher.
Aber falls man ein wissenschaftliches Interesse an der Sprachgeschichte wecken oder befriedigen will, gibt es keine bessere Vorgabe als das Altgriechische. Wilhelm Schulze, einer der größten Indogermanisten, hat auch mal daran erinnert, daß im Griechischen die indogermanischen Verhältnisse und ihre systematische Veränderung deutlicher als irgendwo sonst erkennbar sind, außerdem zeigt es eine Dialektgliederung, die zugleich den Sinn für die regionale Vielfalt einer Sprache weckt. Und das alles mit einer unvergleichlich ausgedehnten Textgrundlage. Darum ist und bleibt das Altgriechische die Grundlage der Indogermanistik.
Im Altindischen ist wegen der Vokalveränderungen das gesamte Ablautsystem viel schwerer zu erkennen als im Griechischen. Um so erstaunlicher ist die Leistung der indischen Grammatiker, die just zum Ablaut ihre bahnbrechenden Erkenntnisse gewonnen haben.

(Außerdem ist das Altgriechische sehr leicht zu lernen, jedenfalls im Kern, der attischen Sachprosa. Es gibt überhaupt in Fremdsprachen meiner Ansicht nach keine einfacheren und klareren Texte als die griechischen Schulautoren, Platon, Xenophon, auch den dialektal etwas abweichenden Herodot usw., was auch mit dem unprätentiösen Charakter zusammenhängt.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.10.2015 um 04.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#30215

„Vor gut einem Jahr hatte die nationalistische Modi-Regierung den Deutschunterricht in Indien weitgehend abgeschafft und stattdessen den Unterricht in Sanskrit ausgeweitet. Das soll sich jetzt wieder ändern, im Gegenzug sollen dann Sanskrit-Kurse in Deutschland angeboten werden.“ (FAZ 6.10.15)

Anbieten kann man es ja mal, annehmen wird es niemand, jedenfalls nicht freiwillig. Wenn schon die Ursprache der europäischen Kultur, das leicht erlernbare Altgriechische, nicht zu retten ist - was will man dann mit dem entlegenen, sehr schwierigen Sanskrit? Die skurrile Geschichte zeigt, daß Sprachen für die Politiker nur Gegenstände eines Kuhhandels sind, ohne Sinn für die Sache selbst. Demnächst steht Arabisch auf dem Programm, was immerhin viel nützlicher wäre.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.10.2015 um 12.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#30240

Mehrsprachigkeitsforscher Clahsen (s. auch hier: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1240#22196) plädiert – wie seit Jahrzehnten – für die muttersprachliche Erziehung der Zuwandererkinder. Das Deutsche lernten sie sozusagen von selbst, auch wenn zu Hause nur Türkisch oder Arabisch gesprochen würde. Mehrsprachigkeit sei ein unschätzbarer Gewinn.

Ich will mich zur Theorie (auf dem Nativismus beruhend) hier nicht äußern, sondern nur zwei Fragen stellen: Was wollen die Eltern? Und brauchen wir Hunderttausende von Menschen, die neben der Landessprache eine hierzulande wenig prestigeträchtige Zweitsprache beherrschen? (Und: Kann und sollte das deutsche Schulwesen solche Sprachen fördern? Urdu, Paschto ...)

Für Erwachsene und Jugendliche kommt der Ansatz sowieso nicht in Frage, weil das Deutschlernen unter den gegenwärtigen Umständen alle Kräfte fordert.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.02.2016 um 05.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#31542

Alle deutschen Schüler sollen Arabisch lernen, fordert Professor Thomas Strothotte. (Welt 3.2.16)

Usw. – 15 Minuten Ruhm (für jemanden, der anscheinend selbst kein Arabisch kann).

An den Leserzuschriften sieht man, daß er das Gegenteil dessen erreicht, was er zu wollen behauptet.
 
 

Kommentar von Vollgasfahrer, verfaßt am 04.02.2016 um 14.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#31557

Das übliche Journalistendeutsch: Bei Vorschlägen heißt es fast immer, xy "fordere" irgendwas, bei Zustimmung gibt es nur "begrüßt".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.04.2016 um 17.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#32155

Der Focus verbreitet heute eine Meldung, die im Schweizer "Blick" passenderweise zum 1. April erschienen ist: http://www.blick.ch/news/schweiz/flughafen-zuerich-gaengelt-mitarbeiter-deutsch-zwang-in-der-pause-id4871830.html
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.05.2016 um 17.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#32493

Aus langjähriger Beobachtung glaube ich zu wissen, daß nichts die Sprachenwahl am Gymnasium so stark bestimmt wie die eigene Erfahrung der Eltern. Ich kenne keine Latein- und vor allem Griechischschüler, deren Eltern nicht auch schon das altsprachliche Gymnasium besucht hätten. Ausnahmen dürften meistens dann vorliegen, wenn die Eltern überhaupt keine höhere Schulbildung haben und daher nur mehr oder weniger zusehen können, was die Schule aus ihren Kindern macht.

Ich habe anderswo zitiert, daß es zur Zeit nur noch knapp 12.000 Griechischlerner gibt, ein Fünftel dessen, was zu Beginn meiner Studienzeit zu bedienen war – bei sehr viel geringeren Abiturientenzahlen. Es gibt also immer weniger Eltern, die auf Griechisch bestehen, zumal meistens Latein Voraussetzung ist und damit weitgehender Verzicht auf Englisch. Eine so kleine Altgriechisch-Population ist nicht überlebensfähig.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.03.2018 um 12.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#38003

Mit dem Antrag der AfD, Deutsch als Landessprache im GG "festzuschreiben", ist dieses Thema endlich vom Tisch.

Der Entwurf ist übrigens in Reformschreibung gehalten.

Nebenbei wird der Duden kanonisiert.

In der Debatte wurde darauf hingewiesen, daß das Grundsatzprogramm der AfD in mehreren Sprachen geboten wird, auch auf russisch. Deutschrussen oder Russischdeutsche neigen ja auch zu den Positionen der Partei.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.03.2018 um 17.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#38004

AfD:

In Artikel 22 wird folgender dritter Absatz eingefügt:

„Die Landessprache in der Bundesrepublik Deutschland ist Deutsch.“


Was soll daraus folgen? Konkret erhoben wird nur die Forderung nach mehr deutschsprachigen Schlagern im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Anglizismen und englischsprachige Unternehmenskommunikation werden einleitend beklagt, gehören aber anscheinend nicht zur Regelungsmaterie, weil der Staat hier keine „Handlungsoptionen“ (AfD) hat. Demnach würde es sich um einen reinen Popmusik-Unterartikel handeln. Muß man dafür das Grundgesetz ändern?

Es fällt schwer, hinter dem Antrag keine unausgesprochenen weiteren Absichten zu vermuten.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 02.03.2018 um 18.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#38005

In Art. 2 der französischen Verfassung heißt es:

"La langue de la République est le français."

Ein entsprechender Artikel im GG wäre also jedenfalls nicht präzedenzlos.

Was soll daraus folgen?

Ein solcher Artikel wäre zumindest eine Absicherung für einfachgesetzliche Festlegungen wie: „Die Gerichtssprache ist Deutsch.“

Sonst könnte ja eine solche Regelung als verfassungswidrige Einschränkung von Freiheitsrechten wie die freie Entfaltung der Persönlichkeit angegriffen werden.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 02.03.2018 um 18.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#38006

Zur Ergänzung noch Art. 8(1)der österreichischen Verfassung:

"Die deutsche Sprache ist, unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten Rechte, die Staatssprache der Republik."
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 02.03.2018 um 18.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#38007

Zweifellos die bessere Formulierung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.03.2018 um 10.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#38014

Gibt es einen konkreten Anlaß? Ein Problem, dem der Gesetzgeber dringend abhelfen muß?

Übrigens:

"Dat is stuur natovolltrekken, wat de AfD drieven deit"

Das ist Plattdeutsch, aber navolltrekken ist doch wohl ein Lehnwort aus dem Hochdeutschen – oder?
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 03.03.2018 um 13.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#38015

"trecken" (ziehen) und "Trecker" (Traktor) sind jedenfalls niederdeutsche Wörter.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 03.03.2018 um 14.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#38017

navoltrekken ist die niederländische Schreibweise; daraus wird dann na te voltrekken.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 03.03.2018 um 18.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#38020

Was war im Jahr 2002 das Problem, dem der Gesetzgeber dringend abhelfen mußte, indem er den Tierschutz ins GG einfügte (Artikel 20a)?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.05.2018 um 07.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#38839

Die FAZ hält es für erwähnenswert, daß die Klageschrift der AfD gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung vom Staatsrechtler Ulrich Vosgerau „in alter Rechtschreibung“ abgefaßt ist. (26.5.18)

Mancher würde wohl auch gern, traut sich aber nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.05.2020 um 18.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#43548

Gerade ist der neue "Schweizer Monat" erschienen mit einem Dossier "Macht der Sprache" (darin zwei Beiträge zur Rechtschreibreform von Rudolf Wachter und mir) und vielen anderen Texten von Reiner Kunze, Stefan Stirnemann... Übersicht hier: https://schweizermonat.ch/
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.07.2020 um 04.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#43980

Ökonomen haben die enormen Kosten der Sprachenvielfalt berechnet. Dabei stießen sie auf die Tatsache, daß der Handel zwischen Ländern um so intensiver ist, je ähnlicher ihre Sprachen einander sind. (FAS 26.7.20)

Dazu fällt mir ein: Erstens sind Länder mit ähnlichen Sprache einander oft benachbart, so daß sich der intensive Handel von selbst ergibt. Zweitens sind riesige Gebiete der Erde ehemalige Kolonien, die mit der Amtssprache auch noch die alten Handelsbeziehungen, oft geradezu eine Abhängigkeit von der früheren Kolonialmacht beibehalten haben. Drittens sind dem Volumen nach die Handelsbeziehungen zu einigen wenigen, aber gewichtigen Ländern mit völlig fremden Sprachen (Japan, China) ein starkes Gegenargument.

Daß die Sprachenvielfalt (eine meiner Töchter lebt vom Übersetzen) bei all den Kosten wirklich ein Hindernis ist, scheint mir nicht nachgewiesen.

Ich habe übrigens bisher vergebens herauszufinden versucht, ob man zu den "language requirements" an amerikanischen Schulen etwas Allgemeines sagen kann. Man hört nur immer wieder, daß Schüler sich rechtzeitig informieren sollen, an welches College sie einmal gehen wollen, weil die Anforderungen sehr verschieden sind. Der tatsächliche Bedarf ist wieder etwas anderes. So ist Chinesischunterricht verbreitet, aber wird er auch gebraucht?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.09.2023 um 06.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#51721

Zum Frühbeginn des Fremdsprachenunterrichts schrieb der SPIEGEL (5.10.05):

„Gerade deshalb steht das Englische derzeit auf dem Prüfstand. Experten diskutieren nun vor allem, ob der Sprachhunger der Grundschüler nicht auch bundesweit besser mit einer komplexeren Sprache gestillt werden sollte. ‚Vieles spricht dafür. Die leichte englische Grammatik kann problemlos auch noch später erlernt werden‘, meint Sprachforscher Frank Königs.“

Selbst wenn die Voraussetzung zuträfe, wäre es abwegig, die Schulsprachenpolitik unabhängig von der Nachfrage daran auszurichten, welchen Nutzen das Erlernen einer Sprache für andere Fächer haben könnte.
Auch andere Didaktiker, meist Romanisten, aber auch Latinisten, haben schon geäußert, Englisch sei zu leicht und werde sowieso erworben, daher als erste Fremdsprache abzulehnen. Wenn nur die dummen Eltern nicht wären!
 
 

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