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13.09.2005
Das Gewicht der Schulbücher
Gerade haben die Kinder ihre neuen Schulbücher bekommen
Die dürfen wir in Bayern ja nun bezahlen, ohne Eigentum daran zu erwerben. Der VdS will den Staat darauf verpflichten, die durch das Büchergeld finanzierten Bücher nur drei Jahre lang auszuleihen und dann durch neue zu ersetzen.
Alle Bücher sind nun nagelneu (das hat es noch nie gegeben), alle im Großformat, das nicht auf den Kopierer paßt, daher zwei- und dreispaltig gedruckt, sehr schwere Ausführung (es gibt schon Kinder, die ihre Schultasche auf einem Wägelchen hinter sich herziehen), viele Bilder (auch überflüssige, z. B. im Erdkundebuch die doppelseitige Abbildung einer Klasse, die gerade Erdkunde hat) und alle in neuester Rechtschreibung (2004), ziemlich korrekt, aber natürlich immer "so genannt" usw., soweit sich eben die Reformschreibung gerade noch halten läßt. Das Deutschbuch der 7. Klasse stellt die Reformschreibung so ausführlich dar, daß der Verlag alles tun muß, die Arbeit des Rates für deutsche Rechtschreibung zu behindern. Besonders ausführlich wird die Schreibung der Tageszeiten dargestellt und eingeübt.
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Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 13.09.2005 um 17.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=223#938
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Aus meinen praktischen Erfahrungen während der Zeit als Lehrerin und später im Gespräch mit meinen Lehrerkunden kann ich sagen, daß die meisten modernen Schulbücher außer zum Durchblättern und Bildlein-Gucken nichts taugen. Aus diesem Grunde treibt das Kopierunwesen an den Schulen solche Blüten. Die Schüler benötigen schließlich auch differenziertes Übungsmaterial, und dieses bieten trotz der aufwendigen Gestaltung die meisten Schulbücher nicht. Manch ein Schulbuch kann nach dem Kauf getrost im Regal abgestellt werden. Es wird so gut wie nicht benutzt.
Interessant in diesem Zusammenhang ist ein Beitrag, den ich vor einiger Zeit in der Hauspostille des VBE - NRW (Verband Bildung u. Erziehung)gelesen habe. Eine Lehrerin hatte in Finnland mehrere Schulen besucht und Vergleiche zum deutschen Schulwesen angestellt. Dabei fiel ihr auf, daß die finnischen Schulbücher im Vergleich zu den deutschen viel mehr Übungsmaterial enthalten, so daß die Lehrer kaum zusätzliche Materialien nötig haben. Auch die deutschen Schulbücher waren noch vor etwa zwanzig Jahren besser. Ich besitze einige alte Exemplare. Zehn Buchseiten enthalten dort mehr Übungsanregungen und mehr Text als auf hundert Buchseiten eines modernen Illustrierten-Schulbuches dargestellt ist.
Soviel zur inhaltlichen Qualität dieser "schweren" und nur optisch beeindruckenden Schulbücher von 2005.
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Kommentar von Jens Stock, verfaßt am 13.09.2005 um 23.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=223#939
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Das kann ich nur bestätigen. Große, zur Sache wenig beitragende Bilder dominieren bei der Durchsicht der neuen Schulbücher. Besonders häufig sind Schüler abgebildet, die gerade in den Genuß einer einschlägigen Unterrichtsstunde kommen. Mich ärgern aber auch vielfarbige, teils dunkle Hintergründe, die zum Kopieren ungeeignet sind, und nichtssagende Überschriften. Statt Längenmessung steht z.B. Laufolympiade. Wehe dem, der mal etwas Bestimmtes sucht! Bisweilen tritt der Hauptinhalt nicht nur optisch in den Hintergrund und wird scheinbar zur Nebensache. Wichtige Erkenntnisse findet man in einer Randbemerkung unter dem Stichwort „Übrigens: ...“, ohne daß es dazu Übungen gäbe.
Die neuen Bücher für das achtjährige Gymnasium wurden bzw.werden sowieso unter Zeitdruck fertiggestellt und in aller Eile genehmigt. Daß dabei die obligatorische Qualitätskontrolle sich im wesentlichen in der Bestaunung der vielen bunten Bilder erschöpft, dürfte niemanden wirklich wundern ...
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Kommentar von Bernhard Berlinger, verfaßt am 14.09.2005 um 09.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=223#941
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Schade, daß es die DDR nicht mehr gibt. Für politikfreie Fächer wie Mathematik oder Physik konnten wir seinerzeit in Ostberlin Bücher kaufen wie "Physik für Ingenieure", verständlich und gut geschrieben, randvoll mit Übungsmaterial und ebenso für das Gymnasium wie für das Studium gültig. Preis: zwei oder drei D-Mark. <p>
Zu den heutigen Schulbüchern kann ich nur sagen: Man sollte Bücher eben von Journalisten und Schriftstellern machen lassen und nicht von Behörden. Die können es halt nicht und werden es nie können.
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Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 14.09.2005 um 09.57 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=223#942
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Bildern von Schülern in Lehrbüchern für Schüler. Das erinnert an ein Geschichtchen aus der ehemaligen Sowjet-Union: Die Parteispitze will ein Puschkin-Denkmal errichten. Viele Vorschläge werden eingereicht. Den Zuschlag erhält : "Stalin, Puschkin lesend"
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Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 14.09.2005 um 11.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=223#943
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Schriftsteller und Journalisten sollten keine Schulbücher machen! Dieses Geschäft wäre allein eines für Schullehrer - auch Professoren und andere unterrichtsfremde Personen haben da nichts mitzureden - von wegen Wissenschaftlichkeit. Als ob so Lernen funktionierte!
Der Ursprung der Schulbücher war ja so: ein Schulmeister hat aufgeschrieben, was er seinen Kindern beigebracht hat, weil sich auch andere Lehrer dafür interessiert haben. Schließlich hat sich der Schulbuchmarkt entwickelt. Anfangs waren es also durchweg Praktiker, die sich mit dem Schulbuchmachen befaßt haben.
Leider sitzen heute über der Herstellung von Schulbüchern zu viele Leute, die von der praktischen Pädagogik überhaupt keine Ahnung haben. Theoretisches Wissen ist da eher hinderlich. Jede vernunftbegabte Mutter würde eventuell ein besseres Grundschuldeutschbuch hinkriegen als unsere Schulbuchautoren von hohen Gnaden.
Dazu kommt das leidige amtliche Zulassungsverfahren, jede gute Idee wird da so lange gewendet und zerfleddert, bis nichts mehr davon übrig ist.
Weshalb das Übungsmaterial so ganz aus den Büchern verschwunden ist, hat neben einem Nachahmungseffekt auch mit der Zeitgeistpädagogik zu tun, die irrtümlicherweise davon ausgeht, daß sich jedes Kind aus eigenem Antrieb aus der Umwelt selbst bildet - also auch ausreichend übt. Hier findet man die Wurzel für das vielfältige Versagen unserer Schüler - bei der Arbeitsplatzsuche und bei PISA.
Man kann also sagen: Schulbuchproduktion und schulisches Lernen entwickeln sich diametral auseinander.
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Kommentar von Alexander Glück, verfaßt am 14.09.2005 um 13.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=223#944
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»Man kann also sagen: Schulbuchproduktion und schulisches Lernen entwickeln sich diametral auseinander.«
Nein, das Gegenteil ist anzunehmen. Denn wenn in den Schulen etwas wesentlich anderes stattfinden würde, als man in den Schulbüchern besichtigen kann, dann gäbe es ja nicht diesen PISA-Befund.
Ich kann mich aus meiner eigenen Schulzeit (1975 ff.) übrigens an keinen einzigen Text in den diversen Deutschbüchern erinnern, der nicht von einem linken Schriftsteller verfaßt worden wäre.
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Kommentar von nos, verfaßt am 14.09.2005 um 14.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=223#945
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Umgang mit Schulbüchern
Über den Umgang mit Schulbüchern kann ich aus der Praxis, meiner Lehrertätigkeit in Grund- und Hauptschulen Bayerns, berichten. Dort gewann ich Einblick in die Auswahlkriterien, die letztlich zur Beschaffung eines speziellen Buches für die spezielle Schule führten, sowie Einblick in die durchgehende Handhabung des an meiner Schule eingeführten Lehr- und Lernmediums. Meine Beobachtungen liegen vier Jahre zurück. Seinerzeit herrschte Lehrmittelfreiheit.
Die Beschaffung:
Die Beschaffung eines neuen Lehrbuches ist in allererster Linie eine Angelegenheit des Schulaufwandsträgers, der Gemeinde. Sie muß letztlich die Mittel freimachen, die nötig sind, Klassensätze zu bestellen. Die Gemeinde erhebt Forderungen der Tauglichkeit, der Zweckmäßigkeit und der Durchgängigkeit. Sie ist daran interessiert, daß das Lehrbuch, das ausgewählt wird – weil es sich als das Beste im Vergleich herausgestellt hat – möglichst durchgehend in allen Klassen verwendet wird. Sicher ist, daß die hierbei entstehende Mengenabnahme ein starkes Argument bei der Preisgestaltung ist.
Den Vergleich der Schulbücher führen die Klassenkonferenzen bzw. die jeweiligen Klassenlehrer einer bestimmten Jahrgangsstufe durch. Sie beurteilen aus einem reichhaltigen Verlagsangebot (Diesterweg, Auer, Cornelsen, Westermann, ...) die Tauglichkeit und Zweckdienlichkeit. Als Entscheidungskriterium gilt, ob und wie die verbindlichen Ziele des Lehrplanes in dem jeweils begutachteten Werk eingebracht werden. Hauptkriterium ist dabei der sog. fachspezifische Lösungsansatz. So erwartet beispielsweise der „Geschichtslehrer“ in einem Geschichtsbuch eine große Ansammlung von sog. Quellentexten, der Physiklehrer eine Ansammlung von erkenntnisdienlichen Experimenten usw.
Und alle diese verschiedenen Einsichten und Argumentationen können dann bei der klassenübergreifenden Lehrerkonferenz vorgetragen werden, die sich dann letztlich auf ein durchgängiges Konzept festlegt und eine komplette „Bücherserie“ bei dem Verlag bestellt, der insgesamt den meisten Ansprüchen gerecht geworden ist.
Die oben geschilderte Methode ist die häufigst praktizierte, doch gibt es auch Schulen, in denen Einzelpersonen über die Anschaffung befinden, wie auch Schulen, in denen verschiedene Verlage auf verschiedenen Jahrgangsstufen Fuß fassen. Wahrnehmbar ist aber auch, daß sich benachbarte Schulen untereinander absprechen und häufig das gleiche Lehrbuch bestellen, was im übrigen auch der gemeinsamen Vorbereitung der im Heimatraum unterrichtenden Lehrkräfte dienlich ist.
Die Verwendung:
Zur Verwendung will ich mich kurz und salopp fassen, denn aus meiner Sicht führen Schulbücher ein Schlummerdasein.
Manche Bücher führen ihren Halbschlaf in der Ablage, die sich unter der Schülerbank befindet. Solche Halbschläfer sind: der Schulatlas, das Religionsbuch und das Lesebuch. Diese Bücher werden meist dauerhaft in der Schule behalten, weil man den Kindern das Gewicht nicht zumuten will, das beim Hin- und Herschleppen zu bewältigen ist, und weil diese Bücher zeitweilig verwendet werden, insbesondere in Vertretungsstunden, wenn der Klassenlehrer erkrankt ist.
Andere Bücher führen einen punktuellen Schlaf im Kinderregal, sie müssen immer wieder dann hervorgeholt werden, wenn das jeweilige Fach gerade auf dem Stundenplan steht, wobei es nicht gewährleistet ist, daß an diesem Tag das entsprechende Buch auch zum Einsatz kommt, weil es durch ein meisterhaft gefertigtes Arbeitsblatt blockiert und zum Weiterschlaf angeregt wird.
Eines der ca. 12 jährlich ausgeliehenen Bücher gilt als Reiseweltmeister: das Mathematikbuch. Seltsamerweise wird es neuerdings fast immer im DIN-A-3-Format aufgelegt, obwohl es in der früheren Form leichter zu schleppen war.
Ein Buch dagegen führt seit rund 15 Jahren einen Dauerschlaf: das Sprachbuch. Es wird entliehen, schläft im Kinderregal, wird wieder abgegeben, schläft weiter in der Schulbücherei. Die neuen Sprachbücher sind Produkte derer, die schlafen.
Prognose:
Eines hat sich gezeigt im Laufe meiner Lehrtätigkeit. Kein Buch hat je meinen vollen Anforderungen entsprochen. Deshalb habe ich es vorgezogen, Arbeitsblätter zu gestalten. Diese entstanden, nachdem ich etliche Lexika, Schulbücher, Aufsätze und Berichte gewälzt, das beste herausgeschrieben oder eingescannt und damit eigentlich das wiederhergestellt habe, was mir durch den Beschluß der Lehrerkonferenzen abhanden kam.
Das Arbeitsblatt hat dem Schulbuch schon längst den Rang abgelaufen, doch es gäbe auch eine Zukunft für das Schulbuch, dann nämlich, wenn die Schüler unterschiedliche Bücher mit in den Unterricht bringen würden, um etwas zum vorangekündigten gemeinsamen Thema beizutragen.
Im Zuge der Abschaffung der Lernmittelfreiheit wäre es zu begrüßen, daß die Eltern das Jahrgangsbuch für ihr Kind frei wählen dürften (Auer, Diesterweg, ...) ...
Was wäre das doch für ein dynamischer Unterricht, wenn ein Kind plötzlich aus seinem eigenen Buch einen Quellentext vorstellen würde, der paßte wie die Faust aufs Auge und gar dem Lehrer ein Aha-Erlebnis abnötigte.
Im Prinzip muß man also gar nicht „das“ Schulbuch auswählen, sondern aus vielen Schulbüchern auswählen und diese dann auch alle in der Schulstube zur vergleichenden Auswahl stellen.
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Kommentar von Bernhard Berlinger, verfaßt am 14.09.2005 um 16.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=223#946
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"...Schriftsteller und Journalisten sollten keine Schulbücher machen! Dieses Geschäft wäre allein eines für Schullehrer..."
Nach meiner Erfahrung als Redakteur stammen die Leserbriefe mit den schlimmsten gramatikalischen Fehlern und der abenteuerlichsten Interpunktion meist von Lehrern. Das ist leider kein Klischee. Es löst im Kollegenkreis gerne Heiterkeit aus, wenn so ein Studienrat wieder einmal "größer wie" geschrieben hat oder er entrüstet einem Sachverhalt "wiederspricht".
In der Sache gebe ich Ihnen aber recht. Schulbücher müssen von der Front kommen, von Lehrern, die tatsächlich unterrichten. Das ganze wissenschaftliche Getue und die Freigabe durch Schulbeamte sind schädlich. Ergebnis: Schulbücher sind stinkelangweilig. Ich wiederhole: Wären die Texte von Profis redigiert, sie wären spritziger formuliert und spannender geschrieben - und somit wirksamer.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.03.2009 um 08.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=223#14157
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Der tägliche Ärger über die enormen Gewichte der in die Schule mitzuschleppenden Bücher veranlaßt mich, auf folgende Seite hinzuweisen: http://www.schwereranzen.de/index.htm
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Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 25.03.2009 um 10.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=223#14158
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@THI: Danke für den Hinweis,
man sieht dort, daß die Reform noch Nachholbedarf hat:
"Die leichtsten Ranzen sind für Schüler mit 45 - 50 kg akzeptabel"
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.11.2012 um 04.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=223#21924
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Unterstützt vom Verband Bildung und Erziehung, versuchen dieselben Schulbuchverlage, die den Ranzen zuerst mit überschweren Büchern gefüllt haben, ihn nun wieder zu entlasten durch das „digitale Klassenzimmer“ mit Beamer statt Büchern usw. (Bericht der SZ vom 16.11.12). Die "gute alte grüne Kreidetafel" wird angeprangert. Sogar Kinderbücher sollen (mit besonderer Lizenz natürlich) gemeinsam vom Beamer gelesen werden – als ob Lesen nicht eine einsame Tätigkeit wäre. (Mit einem Buch zieht man sich zurück.) Das scheinen die Verlage nicht mehr wissen zu wollen. Die Süddeutsche Zeitung (hier Daniel Wüllner, ein junger Amerikanist und Comic-Fachmann) stellt sich vorbehaltlos hinter die neue Geschäftsidee.
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