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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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15.12.2013
 

Verständnisfragen und Antwortsätze
Es ist unhöflich, Sprechakte einfach zu wiederholen

Wenig beachtet, aber ganz alltäglich ist folgender Gesprächsverlauf:

Kommst du morgen zum Essen?
- Wie bitte?
Ob du morgen zum Essen kommst.



Wann kommst du zum Essen?
- Wie bitte?
Wann du zum Essen kommst.



Komm morgen zum Essen!
- Wie bitte?
Du sollst morgen zum Essen kommen.


Es wird also beim erneuten Ansatz jeweils vorausgesetzt, daß der Nachfragende sehr wohl verstanden hat, um welchen Sprechakttyp es sich handelt (Entscheidungs-/Ergänzungsfrage bzw. Aufforderung), nur der Inhalt wird nochmals formuliert, nun aber in einem abhängigen Satz (also ohne eigene Illokution), oder, wenn das nicht geht, in einem Aussagesatz mit Modalverb.



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Kommentare zu »Verständnisfragen und Antwortsätze«
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Kommentar von Andreas Blombach, verfaßt am 15.12.2013 um 19.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1593#24617

Hat das wirklich mit Höflichkeit zu tun? Oft klingen die "Wiederholungen" ja sogar etwas genervt, hat sich der Angesprochene doch erdreistet, einen nicht gleich auf Anhieb zu verstehen ...

Der Antworttyp setzt in der Tat voraus, dass erkannt wurde, ob es sich um eine Frage oder eine Aufforderung handelt (was ja an der Intonation auch gut zu erkennen ist) – mehr aber m.E. nicht unbedingt.
Mitunter wird noch ein will ich wissen o.ä. angehängt oder etwas wie Ich habe gefragt vorangestellt, gerade dann, wenn man davon ausgeht, dass der andere sehr wenig bis gar nichts verstanden hat (z.B. dann, wenn man den anderen bei der ersten Frage noch in größerer Nähe vermutet hatte, eine Annahme, die sich erst mit dem fernen Was?! als irrig erwies).
Ansonsten lässt sich der Antworttyp natürlich auch als Fortführung einer Frage deuten – also Was hast du gefragt?, Was willst du wissen? o.ä. Nur sind solche Fragen natürlich seltener als Wie bitte?, Was? oder Hä? ...

Ich habe vor einiger Zeit auch schon einmal darüber nachgedacht, warum Fragen (und andere Äußerungen) meist umformuliert werden, wenn sie nicht gleich verstanden wurden. Ich kam zum Schluss, dass die Umformulierung häufig eine Verständniserleichterung für den Empfänger darstellt. (Und dass daher umformulierte Äußerungen oft erfolgreicher sind als bloße Wiederholungen, wodurch sie bekräftigt werden.)
Häufig kann man davon ausgehen, dass zumindest ein Teil des Gesagten verstanden wurde, man weiß aber nicht, an welcher Stelle es ein Problem gab (es sei denn, der andere fragt gezielt nach, was bei längeren/komplexeren Äußerungen üblich ist). Man muss also (fast) alles wiederholen. Man weiß aber auch nicht immer, warum es ein Problem gab, und um Probleme, die sich aus der Gestalt der Äußerung selbst ergeben, zu vermeiden, wird sie noch einmal umformuliert.
Wenn jemand z.B. dazu neigt, etwas undeutlich zu sprechen, kann das dazu führen, dass eine bestimmte Abfolge von Wörtern nicht verstanden wird (weil genau diese Abfolge ihm Schwierigkeiten bei der Artikulation bereitet). Wenn er die Wörter in genau dieser Reihenfolge wiederholt, kommt es womöglich zum gleichen Problem, in anderer Reihenfolge dagegen nicht.
Dadurch, dass dem Hörer dieselben Wörter in unterschiedlichen Lautströmen dargeboten werden, erhält er eine größere Chance, sie richtig zu identifizieren.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 15.12.2013 um 22.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1593#24618

Es wird weggelassen Ich habe dich gefragt bzw. Ich habe dir gesagt, also genau das, was dem Gesprächspartner wenigstens klargeworden sein dürfte. Eher Ökonomie als Höflichkeit.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.12.2013 um 05.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1593#24619

Diese Einwände habe ich erwartet, sogar ein bißchen mutwillig provoziert, und sie sind nicht von der Hand zu weisen. Also auf "Höflichkeit" will ich auch nicht bestehen, zumal der Ton die Musik macht, wie Herr Blombach meint. Es ist wie bei den Modalpartikeln. Wie heißen Sie? kann u. U. verhörartig schroff klingen, mit denn oder eigentlich wird es je nach den Umständen abgemildert. Der Grund: Mit den Modal- oder Abtönungspartikeln wird eine Anknüpfung an den Kontext und/oder die Situation, damit aber auch an den Hörer, der sie wahrnimmt, hergestellt. So nun auch bei der wiederholten Frage usw.:

Wie heißen Sie?

- Wie bitte?

Wie heißen Sie?


Die nackte Wiederholung verweigert je Anknüpfung, man setzt neu an, als habe der Partner überhaupt noch nicht reagiert und nichts verstanden.

Man KANN den bereits erkannten Sprechakttyp durch einen Metasatz ausdrücken, wie Herr Markner vorschlägt, aber ein solches Explizitmachen des Duktus der Situation sollte mit Vorsicht eingeführt werden, damit man nicht in Logizismus verfällt (vgl. Frege, der vor jede Behauptung einen Behauptungsstrich setzen wollte oder so ähnlich). Also das Ellipsenproblem, auch Zero-Problem: Nicht überall, wo etwas eingefügt werden könnte, ist etwas weggelassen, Sonst würde jeder Text von Dingen wimmeln, die nicht da sind.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.12.2013 um 17.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1593#24624

Die nackte Wiederholung wirkt nach meinem Eindruck mit Modalpartikeln und anderen "Ausschmückungen" noch seltsamer:

Wie, verflixt noch mal, hieß er denn gleich?
- Wie bitte?
Wie, verflixt noch mal, hieß er denn gleich?

Noch deutlicher wird das, wenn die Frage oder Aufforderung zusammen mit einem Ausruf des Erstaunens, der Überraschung kommt. Folgendes geht m. E. gar nicht, außer vielleicht als Witz:

Oh, wie heißen Sie denn?
- Wie bitte?
Oh, wie heißen Sie denn?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.12.2013 um 12.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1593#24625

Gute Beobachtung. Wenn jemand sehr schwerhörig ist und Verdammt noch mal! nicht verstanden hat, dann wäre es ziemlich komisch, die Äußerung zu wiederholen und gleichsam den Gefühlsausbruch aufzusparen oder beim zweiten Mal durch eine Wiederholung zu inszenieren. Die Situation verändert sich eben ununterbrochen, und man muß die sprachlichen Mittel ständig anpassen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.12.2013 um 14.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1593#24688

Über den Erfolg solcher Überlegungen wird man erst urteilen können, wenn sie zu einem Ergebnis gelangt sind. Jedenfalls dürfte es nicht leicht werden, die günstigste Wortfolge "unabhängig von irgendwelchen Regeln" zu beschreiben. Wir sind gespannt.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 27.12.2013 um 20.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1593#24692

Für möglichst verständliche mündliche Fragesätze schlage ich vor:
Das erste Wort des mündlichen Fragesatzes dient dem Verbindungsaufbau und der Synchronisation zwischen Sprecher (Sender) und Hörer (Empfänger) und sollte deswegen nur die Information enthalten, daß jetzt ein Fragesatz kommt. Beispiele sind das französische "Est-ce que" (Ist das was? oder Ob), das polnische "Czy" (Ob) und das serbische "Da li" (Ob).
Die Prädikatsgruppe sollte nicht durch andere Satzglieder unterbrochen werden und folglich zusammenhängend am Satzende stehen. Manche Indogermanisten sagen, daß dies (Subjekt, Objekt, Prädikat) die gemein-indogermanische Wortstellung in der damals nur mündlichen Nachrichtenübermittlung war, auch weil es noch keine Präpositionen, sondern nur Verb-Präfixe gab.
Zwischen Subjekt und Objekt ist Platz für eine Adverbialgruppe.
Daß diese Wortstellung (nur im Deutschen) einem Nebensatz entspricht, Pech für die Nebensätze. Beispiel: "Ob du gestern abend im ersten Programm den Film angeschaut hast?"
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.12.2013 um 05.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1593#24694

Damit wären nur die Entscheidungsfragen Ihrer Sprachrevolution unterworfen. Was machen Sie mit dem Rest? Und sind nur Fragen betroffen, oder haben Sie noch weitere Eingriffe im Sinn? Es wäre interessant, einen Text in Ihrer neuen Sprache vorgeführt zu bekommen. Außerdem fehlt der Nachweis, daß Entscheidungsfragen mit einleitendem Fragewort (die im Deutschen ja, wie gezeigt, schon ihre Funktion als Nachfrage oder als dubitative Frage haben) deutlicher sind als solche mit der herkömmlichen Verberststellung.

Was wir durch die Stellung ausdrücken, drücken andere Sprachen manchmal durch Morpheme aus, z. B. Fragemorpheme (russ. li, chin. ma usw.). Man kann aber nicht punktuell solche Eigenschaften aus einer Sprache in eine andere verpflanzen. Oder vielmehr, man kann es schon, aber das ist typisch für Pidgins.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.06.2014 um 08.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1593#26036

In der Schülerduden-Grammatik heißt es:

Nicht alle Verbzweitsätze mit w-Wort drücken wirklich eine Frage aus:

Wer hört schon auf einen alten Mann! (Ausrufesatz)

Eine entsprechende Relativierung gilt auch für Verberstsätze:

Kannst du mir mal das Salz reichen? (Aufforderungssatz)
Habe ich nicht schon oft genug auf die Unmöglichkeit der Situation hingewiesen? (Ausrufesatz)“ (2010:301)

-

Das kann man so nicht sagen. Es ist wesentlich und unterscheidet das Deutsche von einigen anderen Sprachen, daß sich über dem primären Verständnis eine pragmatische Zweitbedeutung aufbaut - was die Dudengrammatik in dem Wort "wirklich" versteckt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.06.2014 um 15.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1593#26099

Warum wird eigentlich meinen auch im Sinne von "sagen" benutzt? Vielleicht kommt es aus der Höflichkeitspragmatik: Was haben Sie gemeint? = Was haben Sie gesagt? - Man tut so, als habe man sehr wohl verstanden, möchte aber eine Verdeutlichung. Jedenfalls empfinde ich es intuitiv so, wenn mich so ausdrücke.
 
 

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