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02.12.2008
Verdienstvoll
Fritz von Bernuth geehrt
"Fritz von Bernuth erhält Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland
Als Vorstandsvorsitzender des VdS Bildungsmedien e. V. setzte sich von Bernuth u. a. für eine bessere finanzielle Ausstattung von Schulen oder die Beilegung des Streits um die Rechtschreibreform ein."
(Pressemeldung Cornelsen bei Bildungsklick 2. 12. 08)
Im Sommer 1997 griff v. Bernuth mich und mein Schildbürgerbuch in einem Leserbrief in der FAZ scharf an. Am 6. August rief ich ihn an und hatte dann ein langes Gespräch mit ihm. Ich erwähne den Leserbrief: Er „Welchen Leserbrief meinen Sie?“ Den in der heutigen FAZ, haben Sie noch mehr geschrieben? "Das war kein Leserbrief, sondern ein Brief an die Herausgeber, der nicht für die Veröffentlichung bestimmt war." usw. Anschließend ca. 45 Min. Diskussion über die Lage der Schulbuchverleger. Mein Buch hat er nicht gelesen, verläßt sich auf Zitate in Reumanns Besprechung sowie auf Auskünfte von Augst. Rechnet damit, daß die Änderungen so geringfügig sein werden, daß die Schulbücher, in denen außer ss sowieso fast keine Auswirkungen festzustellen seien, sie nach und nach aufnehmen könnten, ohne Neusatz. Immer wieder betont er, daß es ihm ausschließlich um wirtschaftliche Aspekte gehe.
Im Herbst 1998 wehrte sich die Bevölkerung von Schleswig-Holstein gegen die staatlich verfügte Sprachveränderung. Um den Volksentscheid zu beeinflussen, kündigte v. Bernuth eine 400.000 DM teure Kampagne der Schulbuchverleger an, die sich die Unterstützung von 14 Eltern-, Lehrer- und Schülerorganisationen gesichert hatten. Das Ganze nannte sich „Initiative für die Reform, für die Kinder“. Aus den ergreifenden Anzeigen („Der beste Grund für die Rechtschreibreform ist sechs und heißt Jan“, mit Foto vom sechsjährigen Jan und seiner besorgten Mutter) ging nicht hervor, wer sie finanzierte. Zwar stand darunter ordnungsgemäß: „V. i. S. d. P. Initiative für die Reform, Andreas Baer. Zeppelinallee 33, 60325 Frankfurt“. Aber der Betrachter erfuhr nicht, daß Baer der Geschäftsführer des VdS und die Adresse die seines Verbandes ist.
Die Welt, 30.6.1998:
"Fritz von Bernuth, Geschäftsführer des Cornelsen Verlages und Vorsitzender des Verbandes der deutschen Schulbuchverleger: 300 Millionen Mark steckte die Schulbuchbranche in die Umstellung. Millionen Schüler lernen heute danach. Daher bewerten wir die Diskussion darüber, sie eventuell wieder zu kippen, als unverantwortlich. Wir haben die Bundesländer wiederholt angemahnt, in dieser Frage eine verläßliche Politik zu betreiben. Übrigens machten wir keine Mark mehr Umsatz mit der Rechtschreibreform."
Fritz von Bernuth hat ausschließlich für die Durchsetzung der Rechtschreibreform gekämpft. Dabei konnte er sich auf die Kampfkraft seines Andreas Baer verlassen und braucht selbst kaum in Erscheinung zu treten. Die Aktivitäten des Verbandes der Schulbuchverlage ("Bildungsmedien") habe ich ausführlich dokumentiert. Sie sind durch allerlei Tricks und kompromißlosen Kampf für die Reform gekennzeichnet.
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 17.12.2008 um 02.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1079#13610
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Der Bildungsbeitrag des Cornelsen-Verlages ist im schulischen Bereich letztens geradezu ungerheuer(lich).
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.12.2019 um 16.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1079#42681
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Di folgenden Briefe könnten ein Licht auf die Lage im Jahre 1997 werfen; damals hatte die Zwischenstaatliche Kommission ihre Tätigkeit begonnen, und die Schulbuchverleger fürchteten den Stop der Reform.
11.7.1997
Sehr geehrter Herr von Bernuth,
darf ich Ihnen ungefragt meine Sicht der Rechtschreibreform und ihrer Folgen für den Schulbuchbereich mitteilen? Kürzlich hatte mich der Rechtsausschuß des Bundestages als Sachverständigen geladen. Seither beschäftigt mich auch der wirtschaftliche Aspekt des Problems stärker, aber eigentlich ist die sprachwissenschaftliche Analyse des Reformwerkes mein Metier.
Diese Analyse hat mich schon vor Jahren zu der festen Überzeugung geführt, daß die Reform wegen zahlloser Fehler im Kleinen wie im Großen nicht durchführbar ist. Ich habe es auch an Warnungen nicht fehlen lassen, leider vergeblich.
Gewiß haben Sie den Beitrag des Reformers Prof. Munske im "Tagesspiegel" vom 5. Juli gelesen. Er stellt die trostlose, von den Kultusministern verschuldete Lage zutreffend dar. Natürlich sind die Schulbuchverleger seit dem letzten Sommer praktisch gezwungen, alle Bücher in neuer Rechtschreibung anzubieten, und es ist verständlich, daß die Angst vor einem Kippen der Reform groß und allgegenwärtig ist.
Die wichtigste Tatsache zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist aber eine ganz andere: Seit einigen Wochen nimmt die neue zwischenstaatliche Rechtschreibkommission beim IDS in Mannheim tiefgreifende Veränderungen am Regelwerk vor, die dazu führen, daß alle neuen Wörterbücher und natürlich auch die Schulbücher schon wieder falsch und unbrauchbar sind. Die Kommission will oder darf ihre Arbeitsergebnisse nicht bekanntgeben (ein Skandal für sich!), aber es sickert trotzdem manches durch. Außerdem kann ein Sprachwissenschaftler genau vorhersagen, welche Änderungen unausweichlich sind. Ich habe in zahlreichen Schriften (zusammenfassend in meinem Buch "Die sogenannte Rechtschreibreform - ein Schildbürgerstreich", Leibniz Verlag, St. Goar 1997) die wichtigsten Punkte dargestellt. Da bleibt kein Stein auf dem anderen! Die alte Silbentrennung ist schon weitgehend wiederhergestellt (§ 108!), die Zusammenschreibung englischer Wörter à la Newage aufgehoben usw. Herr Baer irrt sich, wenn er meint, solche Änderungen könnten von Auflage zu Auflage ohne weiteres Aufheben eingearbeitet werden. Es geht um nichts Geringeres als eine Reform der Reform, und zwar durchweg im Sinne der Wiederherstellung des vorigen Zustandes. Die neuen Bücher werden also gerade dort falsch sein, wo sie unbedingt richtig sein müßten, wenn die reformierte Reform doch noch durchgesetzt würde! - Der große Zusammenbruch ist also unvermeidlich. Je länger er sich verzögert, umso schlimmer wird er ausfallen.
Aus diesen Gründen wäre ein sofortiger Stopp zwar teuer, aber bei weitem nicht so teuer wie ein Weiterwursteln. Wenn Sie dies ebenso sehen, müßte Ihr Platz eigentlich an der Seite der Reformkritiker sein.
Mit freundlichen Grüßen
Theodor Ickler
8.8.1997
Sehr geehrter Herr von Bernuth,
in Ihrem Brief vom 15. Juli, für den ich Ihnen danke, waren Sie bei weitem nicht so grob wie in Ihrem Leserbrief an die FAZ. Leider scheinen Sie mein Buch nicht zu kennen, sonst würden Sie nicht etwas daraus zu zitieren vorgeben, was gar nicht drinsteht, und im übrigen die gesamte Tendenz des Buches so verfälscht wiedergeben, das ja keineswegs die Schulbuchverlage anprangert, sondern diejenigen, die ihnen das Kuckucksei Rechtschreibreform ins Nest gelegt haben. Nicht die Kritiker der Reform sind schuld am bevorstehenden Desaster Ihrer Branche, sondern die Reformer und die Kultusminister. Dort sollten Sie vorstellig werden, nicht bei einem kleinen Sprachwissenschaftler in der mittelfränkischen Provinz, der sich erlaubt hat, auf den nackten Kaiser zu zeigen und die simple Wahrheit auszusprechen, daß er nackt ist.
Die von Herrn Augst geleitete Kommission ändert zur Zeit das Regelwerk, und zwar durchgreifend. Ich hatte Ihnen dies bereits ausführlich dargelegt. Wenn Augst Ihnen etwas anderes erzählt, trifft es eben nicht zu; Sie werden das bald einsehen müssen. Die Schulbuchverleger haben lange Zeit nur auf die Möglichkeit eines Stopps der Reform gestarrt wie das Kaninchen auf die Schlange. Daß die unabweisbar notwendigen Veränderungen ebenso katastrophale Folgen haben, scheinen sie erst in neuerer Zeit entdeckt zu haben und wehren sich nun mit Händen und Füßen gegen diese unerfreuliche Perspektive. Es nützt aber nichts, sich selbst etwas vorzumachen.
Sie sprechen von meiner „Agitation“ und übernehmen damit eine Propagandaphrase der Reformbetreiber. Ich verweise dagegen auf meine zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten über die Reform: Sie sind die Grundlage meiner Kritik und meines von staatsbürgerlicher und pädagogischer Verantwortung getragenen Kampfes.
Ich erlaube mir, eine Replik auf Ihre Resolution „Ja zur Rechtschreibreform“ beizulegen.
Mit freundlichen Grüßen
Theodor Ickler
10.12.1997
Sehr geehrter Herr von Bernuth,
auch im Hinblick auf die geplante Veranstaltung am 14. Januar 1998 in der hessischen Landesvertretung erlaube ich mir, Sie nochmals wegen der Rechtschreibreform anzusprechen.
Die Mannheimer Kommission arbeitet bekanntlich an der unabweisbar notwendigen Korrektur der Neuregelung. Bisher ist aber nur ein Teil in Angriff genommen worden. Über diesen Teil soll im Januar eine Anhörung veranstaltet werden. Ein anderer Teil soll erst im Mai beraten werden, ohne daß aber damit bereits irgendwelche Beschlüsse verbunden wären, die ja auch nur von den staatlichen Stellen gefaßt werden können. Die Unsicherheit wird sich also noch viele Monate, meiner Ansicht nach sogar mehrere Jahre hinziehen.
Die Nachrichtenagenturen haben soeben ihren Beschluß vom November 1996 förmlich widerrufen und wollen die Neuregelung einstweilen nicht einführen. Bertelsmann läßt sein Universal-Lexikon vorsorglich in „alter“ Rechtschreibung erscheinen. Gibt das nicht zu denken?
All dies bedeutet: Die Neuregelung wird in der jetzigen Form nicht in Kraft treten. Das folgt ja auch logisch aus der bloßen Tatsache, daß die Kommission mit der Neubearbeitung (sei es nun eine formale Regeländerung oder eine Neuinterpretation durch Kommentar) beschäftigt ist und noch auf längere Zeit beschäftigt sein wird. Die Kommission kann wohl den 1. August 1998 erreichen, aber es wird dann nicht das rettende Ufer sein, sondern der Tag der Wahrheit, des Offenbarungseides.
Wie lange wollen Sie sich noch von diesen Herren auf der Nase herumtanzen lassen? Der Markt für Wörterbücher, Schulbücher usw. ist kaputt, wie vorhergesagt. Sollten Sie nicht, statt für diese Reform zu werben, an die ihre Urheber selbst nicht mehr glauben, recht bald einmal auf den Tisch hauen und sagen: „Jetzt reicht´s!“?
Auch die Kritiker der Reform, zum größten Teil Lehrer, wünschen wie Sie nichts dringlicher als die Wiederherstellung normaler, kalkulierbarer Verhältnisse. Der Weg ist vorgezeichnet: Rückkehr zur ja immer noch fast überall - außer eben in den Schulbüchern! - befolgten Einheitsorthographie, Rekonstruktion dieser Orthographie ihrem Gehalt nach (aber unabhängig vom Duden). Sehen Sie bitte den Anhang 7 im beigefügten Papier, der auch schon in der F.A.Z. abgedruckt war. Wie die Ausführung dieses Planes aussehen könnte, würde ich Ihnen gern näher darlegen, falls Sie daran interessiert sind.
Mit freundlichen Grüßen
Theodor Ickler
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.01.2020 um 05.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1079#42682
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Auch mit anderen Funktionären wie Andreas Baer hatte ich eine ausgedehnte Korrespondenz im gleichen Sinne. Ich habe also, soweit mein bescheidener Einfluß reichte, die Schulbuchverleger (der Verband vertrat 71 Verlage) in ihrer Auffassung bestärkt, daß eine weitere Reparatur der Neuregelung ihnen schweren Schaden zufügen würde. Sie haben denn auch mit großem Einsatz ihre Doppelstrategie betrieben: Lobbyarbeit zur Beeinflussung der Politiker und Unterwanderung der Gremien.
Wenn die Verbandsoberen sich intern rühmten, die Politiker völlig in der Hand zu haben, war das keine Großsprecherei. Die Kultusminister und Ministerpräsidenten haben ja bei jeder Gelegenheit versichert, sich mit den Schulbuchverlegern abgesprochen zu haben. Der politische Betrieb läuft bekanntlich auch sonst so: Die Betroffenen selber schreiben die Vorlagen für Gesetze und Verordnungen, und die Politiker setzen ihre Unterschriften darunter.
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